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Der Goldkocher

Der Goldkocher

Titel: Der Goldkocher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Adloff
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Male. Irgendwann hörte er ein leichtes Schnarchen, aber die Kinder standen weiterhin auf und sagten den Vers herunter. Dann schlug im Haus eine Glocke.
    »Zapfenstreich, ihr Heiden!«, rief der Präzeptor und stimmte das Lied »Nun danket alle Gott!« an. In Zweierreihe ging es hinüber in den Schlafsaal für die Knaben. Das Lager teilte Lips mit zwei anderen Jungen. Der Präzeptor ließ sie noch einmal vor dem Bettkasten knien und den Abendsegen nachsprechen. »Du Elende, über die alle Wetter gehen!« Dann durften sie sich hinlegen.
    Die Tür blieb offen. Lips lag außen wegen des Klotzes, den er vor dem Bettkasten abstellte. Draußen im Flur sah er ein paarmal den Schatten des Hausvaters. Das Husten der Kinder klang wie ein hohles, kratziges Bellen. Im Schutz der Dunkelheit weinte eines leise vor sich hin, und von unten gellten die Schreie der Tobsüchtigen. Noch ein anderes Kind weinte, dann stimmte noch eins ein, aber ganz leise. Lips lag mit offenen Augen da und wärmte sich den Rücken an dem Jungen hinter ihm. Ins Arbeitshaus, so hatte Lips herausgehört, wollten sie ihn stecken. Er hörte dem Wimmern und Weinen der Kinder zu und hätte selbst gerne geweint, aber es stockte in ihm, als wäre alles versiegt. Seit dem Tod von Arnold hatte er nicht mehr weinen können. Vielleicht sollte er es wie Arnold machen, sich aufhängen, dann hatte es endlich ein Ende. Schlimmer als hier, dachte er, konnte es nicht mehr kommen; auch nicht in der Hölle, von der der Soldat gesprochen hatte. Wenn es so etwas wie Himmel und Hölle gab! Dann sah er vielleicht auch Arnold wieder, denn die Selbstmörder kamen alle in die Hölle, wie der Soldat gemeint hatte. Aber gleichzeitig hatte Lips Angst davor, dass Arnold ihn nach dem Verrat fragen würde, den der Vater ihm herausgeschlagen hatte.
    Von draußen war das wilde Kläffen eines Hundes zu hören, dann undeutlich eine schimpfende Männerstimme. Der Torwächter musste einen Hund losgelassen haben. »Da! Da! Da!« Der Hund winselte zu den Schlägen auf, dann war es wieder ruhig, und das Husten der Kinder und das Schreien der Tobsüchtigen setzte wieder ein. Der Bettnachbar hinter Lips säuselte vor sich hin und legte im Schlaf den Arm um ihn, und er spürte den feuchten Atem im Nacken. Er musste unbedingt herausbekommen, was dieser Deputierten-Ausschuss, der nächsten Freitag tagen sollte, war, und stieß den Jungen ein paarmal an, aber der schlief fest .
    Lips schloss die Augen. Er kam jedoch nicht zur Ruhe und schwankte zwischen Tag und Nacht. Er musste daran denken, wie er von einem anderen Leben geträumt hatte, und sah sich, als er die Treppe zu Arnolds Stube hochging. Seit dem ungleichen Kampf mit dem Vater hatte Arnold in seiner Stube gegessen und war nur heruntergekommen, wenn dieser auf Diebestour war. Einen randvollen Teller hielt Lips mit beiden Händen. Er drückte den Türgriff mit dem Ellenbogen auf, da stand Arnold mit einem Buch am Fenster.
    »Die verfluchten Augen.« Arnold blickte ihn ertappt an. Er schlug das Buch zu und versteckte es hinter dem Rücken. »Die werden immer schlechter.«
    »Kannst du denn lesen?«, fragte Lips, als hätte er nichts von den Büchern gewusst.
    Arnold nickte. »Ohne Bücher würde ich's hier nicht aushalten. Versprich mir, dass du keinem was davon erzählst.«
    »Ja, aber wieso nicht?«
    »Geht niemanden was an, die da unten schon gar nicht. Nachher soll ich denen noch die Pässe schreiben oder falsche Brandbriefe. Das verstehen die sowieso nicht, dass ein Mensch einen Geist hat und etwas lernen will. Das sind doch keine Menschen! Die wollen alle nur saufen, stehlen und rumhuren. Weil's ihre Art ist.«
    »Liest du in der Bibel?«
    »Nein, nein.« Arnold lachte. »Davon hast du Heide also doch schon gehört!«
    »Der Levi-Moses, der neulich mit dem Vater zurückkam, der hat eine Bibel zum Hehler gebracht. Der sagte, die würde einen ganzen Taler bringen.«
    »Manche Bücher kosten mich ein Vermögen! Es gibt noch mehr zu lesen als die Bibel.« Glanz flackerte in seinen Augen auf. »Bücher, die einem etwas über die Welt und die Menschen erzählen. Nichts über dieses Raubgesindel hier, sondern über wirkliche Menschen. Ich meine, welche mit einer Seele. Menschen, die zwischen Gut und Böse unterscheiden können. Es gibt auch Bücher über ganz entfernte Welten, wohin du nie in deinem Leben kommen wirst.«
    »Was sind das denn für andere Welten? Du meinst die Wittischen?«
    »Hm, ist schwierig, du stellst aber auch Fragen! Das hab

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