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Der Goldkocher

Der Goldkocher

Titel: Der Goldkocher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Adloff
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Essen nahm Lips seinen Klotz und musste wieder zum Spinnen. Als er abends auf seinem Lager lag, schmerzten die wunden Hände. »Was ist dieser Deputierten-Ausschuss?«, fragte Lips leise den Jungen, der ihm den Rücken wärmte.
    »Vielleicht nimmt dich einer von den Herren als Knecht«, flüsterte der Junge. »Wenn du Glück hast.«
    »Und sonst?«
    »Sonst geht's ins Arbeitshaus.«
    »Und was ist da?«
    »Bist wohl nicht von hier, was? Das ist wirklich die Hölle. Du hast doch gesehen, wie sie einen auf die Folter spannen, wenn du nicht genug arbeitest! Aus dem Arbeitshaus kommst du nur raus, wenn du krepiert bist.«
    Lips überlegte fieberhaft, wie er ausbrechen konnte. Sein Lebensgeist war erwacht und pulsierte in ihm. Auf keinen Fall ins Arbeitshaus! Er wollte doch nicht eingesperrt werden und spinnen von morgens bis abends, dahinvegetieren, bis er krepierte. Zuerst musste er das Schloss des Fußeisens aufbekommen. Vielleicht konnte er es mit einer Eisenstange auseinanderzwingen. Aber das Schloss war so derb, dass beim Drehen sein Fuß Schaden nehmen würde. Vielleicht konnte er ein Glied der Kette nahe dem Fußeisen sprengen. Und dann? Vor den Fenstern waren Eisengitter, und unten am Eingang wachte ein Torhüter. Bei Dunkelheit wurde ein Hund losgelassen. Es war hoffnungslos.
    Im Flur sah Lips das flackernde Licht einer Kerze. Der Schatten des Hausvaters war kurz zu sehen, dann schlug eine Tür, und Lips lauschte dem Schreien der Tobsüchtigen. Er hatte doch von einem anderen Leben geträumt und alles gierig in sich aufgesogen, was er von Arnold lernen konnte. Er wollte doch die Zahlen lernen und viele Bücher lesen! Wie stolz er war, als er Arnold mit seinen Lesekünsten überrascht hatte, und erst später sollte er die Reaktion von ihm begreifen.
    »Zeigst du mir denn heute deine Bücher?«, hatte Lips damals Arnold gefragt.
    »Weiß nicht, später vielleicht. Erst musst du die restlichen Buchstaben lernen. Wie weit waren wir denn? Bis M?«
    »Ich kann schon lesen!«, platzte es aus Lips heraus.
    »Wie? Was?« Arnold sah ihn ungläubig mit offenem Mund an.
    »Ja!« Lips zog unter seinem Wams ein schmales Buch hervor. »Ich hab mir die restlichen Buchstaben selbst beigebracht. Hab so lange rumprobiert, bis ich den Sinn zusammen hatte.«
    »Du alleine?!« Arnold griff nach dem Buch. »Von einem … wie heißt der?«
    »Anonymus Verimus«, las Lips langsam den Namen vor.
    »Nie gehört. Woher hast du das?«
    »Das lag unten im Schankraum rum. Lotter-Stoffel hatte es zum Hehler getragen, aber der wollte es nicht annehmen, weil es an den Rändern ganz vollgeschrieben ist. Soll ich dir etwas vorlesen?«
    »Bist mir ja ein Pfiffikus! Na los!«
    Langsam, mit großen Lücken zwischen den Worten, las Lips: »Über … die Judenbrut … und … wie dieser Geißel … des Chris…ten…tu…tu…mm…«
    »Zusammen: ›Christentums‹!«
    »Ja, wie dieser Geißel des Christentums Abhilfe zu schaf…fen ist.«
    »Geht ja ganz gut. Weiter.«
    »Erster Artikel: … Wer … einen Juden … angreift, besud…delt…«
    »›Besudelt‹ muss es heißen. Nur ein ›d‹, nicht so hart sprechen.«
    »… besudelt sich selbst damit … denn der Jude … ist ein schlaues … und listiges Tier.« Lips wartete darauf, dass Arnold ihn lobte, aber der saß stumm da. Verwundert blätterte Lips nach einer Stelle, die er noch eingeübt hatte, setzte sich gerade und legte den Finger unter die Zeile: »Zwölfter Artikel: Die Juden lassen sich ihren Arsch vergolden, wenn sie den Zins stark übersetzen, wie es…«
    »Hör auf!«, sagte Arnold gereizt. »Welcher Schmierfink hat das geschrieben?«
    »Anonymus Verimus«, wiederholte Lips kleinlaut.
    »Dummkopf! Nein, ich meine nicht dich. Der Schreiber ist ein Dummkopf. Glaub nur nicht alles, was in Büchern geschrieben steht. Das da taugt nur zum Anfeuern.«
    »Onkel Arnold, ich würde gerne mehr über die Zahlen lernen. Du hast doch gesagt, dass man sie teilen kann.«
    »Gibst du denn gar keine Ruhe! Tullian erschlägt mich, wenn er das mitkriegt.«
    Erst viel später, als Arnolds Leichnam im Schankraum vom Medicus aus Stollberg untersucht wurde, kam heraus, dass er wie die Juden beschnitten war. Lotter-Stoffel meinte beiläufig, es wäre ihm nun auch alles klar, und die anderen nickten. Was er damit meinte, sagte er aber nicht, sondern zog Rotz und griff nach dem Würfelbecher.

5
    Im Armenhaus vergingen die nächsten Tage mit eintönigen Spinnarbeiten. Nirgends sah Lips eine Gelegenheit zu

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