Der Goldkocher
gemauert. Rechts und links säumten hohe Säulen den Eingang, über dem wiederum eine haushohe Steintafel mit einer Inschrift prunkte, die rundherum geziert war mit allerhand Waffen, merkwürdigen Früchten und Zeichen, die Lips nicht zu deuten wusste. Auf dem hinteren Wall patrouillierten nochmals Soldaten in Zweierreihen mit Gewehren über der Schulter. Neben dem gewaltigen Tor wirkten sie klein wie ein paar Mäuse.
Lips sah dem Treiben zu und überlegte, wie er in die Stadt kommen konnte. Er ging weiter vor zum Schlagbaum, vorbei an den Menschen, die an ihren Fuhrwerken standen und in der Kälte von einem Bein aufs andere traten. Ein frischer Wind schlug ihm vom Wassergraben entgegen, in dem einige Schiffe segelten. Vielleicht, überlegte er, konnte er an irgendeiner Stelle hinübergelangen, wenn es noch kälter wurde und der Graben zufror.
Der Schlagbaum ging wieder hoch, da sah er, wie sich ein Bettler, der sich hinter einer Kutsche verborgen hatte, mit auf die Zugbrücke durchdrängelte. Der Soldat am Schlagbaum rief ihm etwas hinterher, aber der Bettler eilte weiter. Auf der anderen Seite stellte sich ihm aber ein Soldat mit einem aufgesetzten Bajonett entgegen, der Bettler drehte fluchend um, zeigte einmal die Faust und ging zurück über die Brücke. Der Soldat am Schlagbaum stellte sich untätig zur Seite, als der Bettler darunter durchhuschte. Der Soldat auf der Brücke schimpfte und schüttelte darüber den Kopf.
Der Bettler hob in sicherer Entfernung die Faust. »Soldatenpack!«
Plötzlich sah Lips, wie sich der Bettler hinter einem Karren wegduckte. Ein Mann lief plötzlich auf den Bettler zu. Dieser rannte um den Karren herum, ein Wartender lachte, ein anderer rief etwas, andere stimmten ein.
»Bettelgesindel!«
»Kriegst ihn, Gassenmeister!«
»Den da auch!«, rief jemand und wies auf Lips.
In Panik lief Lips in Richtung Auffahrt. Auf halbem Weg sah er sich um. Der Bettler lief kreuz und quer zwischen den Fuhrwerken hindurch, der Gassenmeister dicht hinterher. Jetzt kamen sie auf Lips zugerannt. Er war schon bei der Auffahrt, plötzlich stand ein Mann mit ausgebreiteten Armen vor ihm. Lips wollte ausweichen, rutschte aus, fiel in den Matsch, da fasste ihn der Mann. Im gleichen Augenblick lief der Bettler dicht an ihnen vorbei. Lips versuchte sich zu entwinden, aber der Mann verdrehte ihm mit einem geübten Griff den Arm. Der zweite Mann, der Gassenmeister gerufen worden war, kam gelaufen. Sie drückten ihn auf den Boden, und ehe er sich versehen hatte, war er in ein Handeisen geschlossen und wurde von den Gassenmeistern weggezogen – so wie Prager und der Schwarze Frieder damals, als sie ihm die Schraube anlegen wollten.
»Lasst mich los!«, rief Lips in Panik und ließ sich fallen. »Wo bringt ihr mich hin?«
Sie rissen ihn an der Kette des Handeisens mit einem Ruck weg. Er schrie auf.
»Na, wohin wohl! Ins Armenhaus!«
Sie gingen zurück in die Vorstadt. Schon bald standen sie vor einem Haus, das von einem hohen Zaun umgeben war. Inzwischen wurde es dämmrig, und Lips sah Licht in einigen Fenstern, die vergittert waren. Er machte sich etwas Hoffnung, denn schlimmer als bisher konnte es doch nicht mehr kommen, sagte er sich, und das Licht in den Fenstern versprach Wärme. Sicher gab es auch eine warme Mahlzeit, und vielleicht traf er endlich auf Menschen, die ein wenig Erbarmen mit ihm hatten. Am Tor war ein Wachhäuschen. Ein Torhüter winkte die Gassenmeister durch, die nachfassten, und es ging in das Armenhaus.
Der eine verschwand hinter einer Tür. In einem Flur wartete Lips mit dem anderen. Manchmal hörte er entfernt geistlichen Chorgesang, dazwischen ein merkwürdiges Wimmern und Wehklagen. Der Gassenmeister, der ihn bewachte, stand mit dem Rücken an die Haustür gelehnt, beachtete ihn nicht weiter und untersuchte die Münzen in seinem Geldsack. Einige waren an den Rändern abgeknippert und von schlechtem Silber mit zu viel Kupfer, wie Lips an der rötlichen Farbe sah. Vielleicht konnte er, wenn er alle Kräfte zusammennahm, den Gassenmeister wegstoßen und nach draußen laufen. Der Torhüter war ja wieder in sein Häuschen gegangen, und über den Zaun konnte Lips es mit etwas Glück schnell genug schaffen.
Er hatte zu lange überlegt. Schon ging die Tür auf, und ein Mann trat in den Flur, gefolgt von dem Gassenmeister. »Komm heil'ger Geist, kehr bei uns ein«, hörte Lips einen Kinderchor, dann wurde die Tür wieder geschlossen.
»Stell dich gerade!«, herrschte ihn der
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