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Der Goldkocher

Der Goldkocher

Titel: Der Goldkocher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Adloff
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seines Gehrocks. »Wartet hier«, rief er und ließ mit respektvoll ausladender Geste den Pfarrer ins Haus vortreten.
    Lips bestaunte das Haus. Es war frisch gekalkt und hob sich durch das Schneeweiß von den Nachbarhäusern ab. An den Ecken und seitlich am Eingang prunkten wundersame, aus Stein geschlagene Fabeltiere, die ihre Mäuler wie im Todeskampf aufrissen. Vor den Fenstern der unteren Etage und den Kellerräumen waren eiserne Gitter, die kunstvoll zu Blattwerk und Blüten ausgeschmiedet worden waren. Die Tür zur Apotheke war überaus reich geschnitzt, und der blank gewienerte Ring des Türklopfers stellte ein Knäuel von ineinander gewundenen Schlangen dar.
    Anna schlich geduckt an der Hauswand entlang zum nächsten Fenster und winkte. »Komm her, du glaubst es nicht!«
    Lips stellte sich zu ihr und sah durch das vielfach mit Bleistreifen unterteilte Fensterglas ins Innere. Es war ein Apothekenraum, dessen Pracht er sich nie erträumt hätte. An den Wänden waren rundum hohe Regale mit bemalten Holzkästen und unzähligen Gefäßen von ganz unterschiedlichen Formen, alle prachtvoll bemalt und beschriftet. Dazwischen standen einige Regale, angefüllt mit dickleibigen Büchern. Hoch oben auf einer Leiter reckte sich ein Apothekengeselle nach einem Kästchen. An einem geschnitzten Schreibpult schrieb ein anderer. Alle trugen feine Kleidung und weiße Perücken. Etwas seitlich stand ein Tisch mit einem Aufbau: Verästeltes Geschnörkel und Gewoge von Blättern formte sich zu Girlanden, die als Halter für eine Waage dienten. Im Kramladen von Stollberg hatte Lips öfter zugesehen, wie der Kaufmann eine Waage benutzte, auch Arnold hatte eine einfache Handwaage gehabt, aber diese hier war viel feiner und für ganz kleine Gewichte. Der Apotheker Zorn sprach in einer Ecke mit einem Herrn, der sich mit leidender Miene auf seinen Gehstock stützte.
    Anna strich die Locke aus dem Gesicht, die sofort wieder zurückfiel, dann stieß sie Lips in einer einnehmenden Vertrautheit an, als wäre er ihr Bruder. »Guck mal, die da oben!« Sie legte ihren Kopf auf die Seite und kam ihm ganz nahe. Sie verströmte einen frischen Schweißgeruch, dessen Strenge Lips im ersten Augenblick überraschte und zurückschrecken ließ. Rotkopf hatte einmal großmäulig getönt, manche Weiber würden untenrum so stinken, als würde man einen Ziegenbock mit einer Zwiebel einreiben. Da müsse man sich erst dran gewöhnen! Lips schnupperte irritiert und sah hoch an die Decke der Apotheke. Diese war nicht glatt, sondern geformt und in kräftigen Farben bunt bemalt. In der Mitte waren in einem Kreis aus Gehängen und Girlanden mit Äpfeln und Früchten, die Lips nicht kannte, vier fast lebensgroße Frauen im Kreis abgebildet, die ihre Arme nach den Füßen der vorderen ausstreckten. Die Frauen waren ganz nach der Natur gemalt und trugen wallende Tücher, die ihre Brüste bloßließen.
    Ihr vom Laufen erhitzter Atem beschlug das Fenster. Anna wischte mit ihrem Ärmel, reckte sich und spähte mit leicht zusammengekniffenen Augen und fester Miene in den Apothekenraum, wobei sie immer wieder für sich nickte, als hätte sie entschlossen, auch einmal solch eine Pracht zu besitzen. Lips spürte die dampfende Hitzigkeit ihres Körpers, schnupperte immer wieder ihren verwirrenden Geruch und schielte auf ihre Jacke, deren Stoff sich über ihren Brüsten spannte.
    Anna verzog das Gesicht und sah ihn sauer an. »Puh, du stinkst aus dem Maul!«
    Lips hörte, wie das Tor zum Hof aufgestoßen wurde, und zog Anna am Ärmel.
    »Weg da!«, rief ein Mann mittleren Alters, der mit energischen Schritten auf sie zulief.
    Lips witterte Gefahr und sah sich um, wohin er fliehen konnte.
    »Ihr habt da nichts zu suchen.« Der Mann baute sich vor ihnen auf und schlug bei jedem Wort mit dem spitz gestreckten Zeigefinger. »Wir wollen nicht, dass das Gesinde hier rumlungert! Merkt euch das. Ihr seid die beiden aus dem Armenhaus?« Sie nickten. »Ich bin der Hausknecht. Mitkommen!«
    Der Hausknecht war glatt rasiert wie ein Herr. Die Lippen presste er zu einem strengen Strich zusammen, als hätte er ein bohrendes Magengrimmen. Er riss das Pferd am Geschirr und ging voraus.
    Lips zögerte einen Augenblick.
    »Na, komm schon!«, sagte Anna zuversichtlich und zupfte ihn am Ärmel.
    Sie folgten durch ein Tor in einen weitläufigen Innenhof. Rundum waren Stallungen und Scheunen und zwischen Wirtschaftsgebäuden hohe Torbögen, die zu weiteren Hinterhöfen führten. Vor einem der

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