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Der Goldkocher

Der Goldkocher

Titel: Der Goldkocher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Adloff
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Herkommen. Lips erfuhr, dass Anna eine Waise war und lange bei einer Advokatenwitwe, die vor einiger Zeit verstorben war, in Diensten gewesen war. Im Haus sollte Anna künftig in der Küche helfen und – die Zornin atmete tief durch – dann auch bei der Kinderzucht. Während Lips zuhörte, strömte ein verwirrendes süßes Gemisch aus Arzneien, Gewürzen und unbekannten Gerüchen aus dem Flur.
    Anna stellte sich auf die Zehenspitzen und beugte sich vorfreudig lächelnd vor, um dem Kind auf dem Arm der Zornin ins Gesicht zu sehen. »Ein Junge?« Anna schlug sich mit der Hand auf den Mund und schreckte zurück. »Mein Gott!«, entfuhr es ihr und faltete die Hände, als hätte sie den eigenen Tod gesehen.
    »Ja«, sagte die Zornin leise und sah beschämt zur Seite. »Ein Junge.«
    Auch Lips streckte sich etwas und zuckte bei dem Anblick ebenfalls zurück: noch ein Krüppelkind! Aber dieses war von einer solchen Missgestaltung, wie Lips noch nie eines gesehen hatte. Es hatte eine tief klaffende Furche, die das Gesicht bis hoch zum linken Auge spaltete, und diese hervorstehenden Froschaugen wie der geistesblöde Heinrich und der Apotheker. Es zog den Atem feucht pfeifend durch den halb offenen Mund, streckte seine Zunge vor, die ganz zerfurcht war, und sah stumpf vor sich hin.
    Die Frau des Apothekers befragte dann Lips. Er wiederholte, dass er mit Nachnamen Arnold hieße. Sein Vater wäre Schnallenmacher gewesen und schon vor langen Jahren gestorben, und die Mutter wäre auf der Fußreise nach Kossin gestorben. Während er alles ganz kurz erzählte, sah die Zornin durch ihn hindurch und kaute gedankenverloren an ihren Fingernägeln. Einen Augenblick war es ruhig.
    »Wie befehlen die gnädige Frau Apothekerin?«, unterbrach der Hausknecht die Stille.
    »Ja… Gib ihm saubere Kleidung«, sagte die Zornin wie aufgewacht und reichte Anna den Krüppel. Diese schreckte zurück, schluckte, dann griff sie mit langen Armen umständlich zu. Ein Widerwille lag in Annas Gesicht, als hätte ihr jemand sauer gekochtes Rindsgeschlinge vorgesetzt.
    »Und in der Küche sollen sie Eierkuchen für den Jungen braten«, sagte die Zornin. Sie sah Lips das erste Mal richtig an. »Mit gutem Speck, so elend, wie er aussieht! Mein Gott, er muss Arges ausgestanden haben. Komm jetzt, Anna!«
    ***
    Wenig später saß Lips am Gesindetisch. Während er das Festessen verschlang, sah er sich ungläubig um. Er konnte selbst noch nicht sein Glück fassen und traute seinen Augen nicht! Der Tisch war hell gescheuert und die Gesindestube ganz rein gefegt. In den Regalen lag das Geschirr ordentlich gestapelt, und die Krüge standen in einer Reihe. Selbst das Reisig an der Feuerstelle lag sorgsam geschichtet. Alles hatte seinen Platz. Seine Lippen waren vom Speck ganz fettig und der Bauch ungewohnt prall. Lips rieb die Schüssel sorgsam mit Brot aus, das er dann ganz langsam in der Wange zergehen ließ, und sah hinaus auf den Hof, wo die Männer nun mit dem Abladen fertig waren. Er leckte die Lippen und schwor im Stillen, dass dies seine letzten Lügen gewesen seien. Nun würde er nicht mehr stehlen, endlich ein anderes Leben führen. Nein, jetzt war er kein Kochemer mehr! Nie wieder wollte er etwas mit ihnen zu schaffen haben! Er war Lips Arnold! Er beschloss alles zu vergessen, seine Herkunft und die ganze elende Vergangenheit mit den quälenden Bildern und Erinnerungen. Jetzt war er einer von den Wittischen. Und nie wieder würde er sich ins Armenhaus stecken lassen!
    ›Lips Arnold‹ übte er still für sich. Er durfte sich ja nicht versprechen. ›Lips Arnold. Ich bin…‹
    Wenig später kam der Hausknecht mit sauber geflickter Kleidung und einer Sonntagsjacke aus blauem Zwillich, auch Schwarzwäsche zum Wechseln, wie er erklärte, die Woche einmal, und zwar vor dem Kirchgang am Sonntag. »Und wir wollen nicht, dass die Knechte schäbig herumlaufen!« Aus einer Kiste mit getragenen Stiefeln durfte Lips sich ein gutes Paar aussuchen. Dann führte ihn der Hausknecht herum. Zuerst zeigte er Lips die Schlafkammern für das Gesinde, die über dem Viehstall lagen. Die Kammer teile er sich mit dem Viehknecht und dem Apothekenknecht Bohne. Sie sollten sich vertragen. »Wir wollen keine friedgehässigen Worte!«, mahnte der Hausknecht. Bei jedem wir schlug er drohend mit dem Zeigefinger. »Und im Haupthaus, da hat das Gesinde nichts zu suchen, gar nichts. Und schon gar nichts in der Offizin!«
    Lips sah ihn fragend an.
    »Vorne, der Verkaufsraum im Haupthaus.

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