Der Goldkocher
vielen Kellereingänge stand ein Karren, von dem Fässer und Pakete abgeladen wurden. Daneben stand ein Mann mit einem Papier in der Hand und kontrollierte die Aufschrift der Pakete. Ein junger Bursche lief in trippelnden Schritten mit einem Sack auf dem Rücken hinüber zum Haupthaus, stockte einen Augenblick, drehte sich um und sah neugierig zu Anna, dann trippelte er weiter und verschwand in einem der vielen Kellereingänge. Aus einem Nebengebäude drang nun ein dumpfes, rhythmisches Pochen. Auf dem Karren schlug ein Bursche eine Plane zurück, streckte sich, schob seinen Hut zurück und musterte ebenfalls Anna. Lips meinte misstrauische Blicke auf sich zu spüren, als ahnten sie alle von seinen Lügen, mit denen er sich eingeschlichen hatte. Nein, beruhigte er sich im gleichen Augenblick, die Männer sahen alle nur zu Anna und interessierten sich doch gar nicht für ihn!
Plötzlich sprang ein großer Bullenbeißer auf sie zu. Erschreckt griff Anna nach Lips' Hand und stellte sich hinter ihn. Die Leine, an die der Bullenbeißer festgebunden war, spannte sich mit einem Ruck. Er kläffte wild und sprang mit ganzer Kraft immer wieder gegen das Seil, das sich um seinen Hals festzurrte.
»Der beißt sich am Gesindel fest, da kennt er nichts!«, rief der Hausknecht und lächelte. Er ließ den Hund noch etwas kläffen und springen. »Ruhig, Fetzer!« Der Hund verstummte sofort, zog aber weiter gegen das Seil, sodass sein Atem schwer ging, und fletschte seine roten Lefzen.
Anna ließ Lips' Hand los, blieb aber hinter ihm stehen. Aus einem der oberen Fenster des Haupthauses drang nun das Schreien eines Kindes, und eine Frauenstimme war zu hören, die dagegen ansang. Lips sah eine Frau am Fenster stehen. Sie hielt ein Kind auf dem Arm und blickte zu ihnen hinunter.
»Die gnädige Frau Zornin«, sagte der Hausknecht. Er verneigte sich und zog den Hut.
Anna machte einen Knicks, und auch Lips verneigte sich.
»Huuh!«, schrie es plötzlich laut hinter ihnen.
Lips fuhr herum. Ein Mann von riesiger Gestalt und einem geistesblöden Gesicht beugte sich zu Anna hinunter und hielt ihr eine tote Ratte vor die Nase. Anna schrillte auf, gleichzeitig schnellte ihre Hand hoch und schlug dem Riesen ins Gesicht. Der stand ganz verdutzt mit offenem Mund da und glotzte mit seinen hervorquellenden Froschaugen, wie sie auch der Apotheker hatte.
»Mistkerl, verfluchter!«, schrie Anna ganz in Rage. Schon folgte der nächste Schlag. Der Riese heulte auf und hielt mit beiden Händen die Ratte vor seiner Brust, als wollte er sie beschützen, und rührte sich nicht von der Stelle. Anna schlug mit beiden Händen abwechselnd. Die Männer am Karren sahen belustigt zu ihnen herüber, und in einem Kellereingang erschienen ein paar Burschen, die von dem Spektakel herausgelockt wurden.
»Lass gut sein!«, rief der Hausknecht, der jetzt dazwischenging und Anna den Arm festhielt. »Das ist unser Heinrich, der Sohn vom Herrn Apotheker. Kommt jetzt mit.«
Verdattert ließ Anna von ihm ab.
Der Hausknecht wies hoch zum Fenster. »Die Frau Zornin will euch sehen. Und Heinrich«, sagte er streng zu dem Riesen und schlug mit dem Zeigefinger vor dessen Gesicht herum, »du bringst die Ratte weg!«
Der Riese maulte etwas in sich hinein und drückte die Ratte an seine Brust. Er glotzte beschämt zur Seite, und Lips sah nun, dass ihm die Finger der einen Hand zu einem unförmigen Klumpen zusammengewachsen waren.
»Ob wir uns verstanden haben?«, fragte der Hausknecht scharf nach.
Heinrich verzerrte sein Gesicht unwillig, wobei ihm Speichel aus dem Mund tropfte, und trottete davon.
Der Hausknecht ließ sie vor einem Hintereingang des Haupthauses warten. Als die Frau des Apothekers nach einiger Zeit die Tür öffnete, war Lips überrascht. Die ›gnädige Frau Zornin‹, wie der Hausknecht sie ansprach, war vielleicht fünfundzwanzig, höchstens dreißig Jahre alt – jedenfalls viel jünger, als Lips erwartet hatte; denn der Apotheker mochte an die fünfzig Jahre alt sein, und der Riese war, obwohl er kindliche Züge hatte, sicherlich um einige Jahre älter als Lips. Er konnte nicht ihr Sohn sein. Heinrich musste ein Kind aus einer vorigen Ehe sein.
Die Zornin blieb in der Tür stehen und wiegte das Kind auf dem Arm. Von dem Bündel klang ein merkwürdig pfeifendes Geräusch. Obwohl sie gütig lächelte, war etwas verloren Trauriges in ihren Augen. Sie war bleich wie Weißtuch, schien unendlich müde und erschöpft. Zuerst fragte sie Anna nach ihrem
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