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Der Goldkocher

Der Goldkocher

Titel: Der Goldkocher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Adloff
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sie sich beide im Armenhaus kennen gelernt hatten. Lips war der niedrigste in der Reihe des Gesindes und musste noch vor Morgengrauen die Eimer der Nachtstühle zur Spree tragen. Manchmal hatte er Glück, und Anna stellte gerade die Koteimer der Herrschaften heraus. War Lips auch misstrauisch und verhielt sich abwartend gegen jedermann, so gab es zwischen Anna und ihm eine ungewohnte Vertrautheit und Leichtigkeit, gleichzeitig auch ein unbekanntes Begehren, das sein Herz schneller schlagen ließ. War niemand anderes zu sehen, sprach sie gleich über die Pracht im Haus oder das neue Kleid der Zornin.
    »So eins will ich auch mal haben!«, sagte Anna einmal und nickte für sich mit einer Bestimmtheit, als wäre es beschlossene Sache. Er versuchte ihr dabei möglichst nahe zu kommen, um wieder ihren Geruch in die Nase zu ziehen. Anna wich nicht vor ihm zurück. Sie sah ihn offen an und spielte dabei mit ihrer Locke. Lips musste dabei an den Viehknecht denken. »Die macht's Mannsvolk hitzig«, hatte dieser neulich abends in ihrer Stube gesagt.
    Nach dem Morgenbrot musste dann Holz für die vielen Feuerstellen im Haus geschlagen werden, danach schöpfte Lips Wasser aus dem Brunnen und trug etliche Eimer in den Viehstall, zur Küche, in die Arbeitsräume und auf Anweisung des Apothekenlehrlings Böttger auch hinunter in den Keller, wo er die Eimer vor dem Laboratorium abstellen sollte. Er horchte einmal, aber es schien niemand darin zu sein. Auch gab es keine Ritze, durch die er hineinsehen konnte.
    Als Nächstes mussten unendliche Mengen an Tiegeln, Flaschen und Apothekengefäßen auf das Gründlichste ausgewaschen werden. Lips lernte, wie die Fässer mit dem Sud von Nusslaub ausgebrüht und anschließend draußen im Hof mit Weihrauch geräuchert wurden. Einmal wartete Lips nach dem Räuchern mit dem Knecht Bohne, dessen ständige Neugierde Lips wortkarg machte, auf den Apothekenlehrling Böttger, damit er die Fässer auf Reinheit prüfte. Der schlug dann mit der flachen Hand vier-, fünfmal auf das Spundloch und anschließend roch er ins Fass, ob es rein war oder noch Nachgeruch gab. Während sie auf Böttger warteten, trat Anna aus dem Haupthaus und ging mit einem Eimer hinüber zum Brunnen. Als sie Wasser schöpfte, sah der Knecht Bohne mit seinem unschuldigen Kindergesicht ungeniert Anna zu. »Guck dir die mal an!«, sagte er leise und deutete mit der Hand die Wölbungen großer Brüste an. Im Fenster vom Arbeitsraum standen zwei Apothekenknechte, die ihr ebenfalls zusahen und miteinander tuschelten.
    Als Anna mit dem vollen Eimer zurückkam, schlich auf einmal der Viehknecht aus dem Stall und scharwenzelte breitbeinig hinter Anna her, ohne dass sie es bemerkte. Er schob dabei seine Hüfte vor, streckte die Zunge heraus und zog eine Fratze. Er musste sich einen Stock in die Hose gesteckt haben, denn das Tuch stand im Schritt spitz ab. Der Knecht Bohne lachte und schlug sich vergnügt auf die Schenkel, auch die Knechte am Fenster juxten herum. Anna stockte, sah erst irritiert zu ihnen herüber, bemerkte nun, dass jemand hinter ihr sein musste, und drehte sich herum. Sie hatte wohl den dummen Heinrich erwartet, sah den Viehknecht, stutzte und blickte verdutzt auf die spitze Hose, das Lachen der Männer verstummte für einen Augenblick, dann prusteten sie los. Plötzlich fasste sie den Eimer mit beiden Händen. »Du Dreckskerl!«, rief sie und schüttete ihn mit einem Schwall über dem Viehknecht aus.
    Der stand ganz verdattert da. Der Hausknecht war nicht zu sehen, und alle lachten und johlten aus freien Stücken. Als Anna mit siegessicherem Lächeln und den leeren Eimer schwenkend noch einmal zum Brunnen schritt, lachte auch Lips mit. Verwundert bemerkte er, dass er stolz auf sie war.
    ***
    Der Knecht Bohne und der Viehknecht, mit denen Lips die Schlafkammer teilte, fragten ihn einige Male nach seiner Herkunft, besonders Bohne bohrte herum, was er denn bisher gemacht habe und warum es ihn denn ausgerechnet nach Berlin verschlagen hätte. Vorsichtig war Lips ihren Fragen ausgewichen, brummelte abweisend vor sich hin, und so blieben sie nach einiger Zeit beleidigt mehr für sich.
    »Warum redet der denn eigentlich immer so leise?«, fragte der Viehknecht einmal ins Dunkel.
    »Weil der was auf dem Kerbholz hat!«, sagte der Knecht Bohne ohne jeden Humor in der Stimme.
    Nach Art der Kochemer sprach Lips immer ganz leise, und er gewöhnte sich nun an, mit lauter Stimme zu antworten. Eines Abends erzählten sich die beiden

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