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Der Goldkocher

Der Goldkocher

Titel: Der Goldkocher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Adloff
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Klatsch zum Besten gegeben, der sich über den Tag angesammelt hatte. Einmal erzählte der Apothekenlehrling Böttger lauthals über einen Geheimen Justizrat von Haugwitz, der in der Apotheke Bertramwurzel-Tinktur bestellt hatte, um nochmals in den ehelichen Sattel zu steigen. Dabei hätte dessen Weib eine Aftervisage, dass nicht einmal der Scharfrichterknecht über sie steigen würde. Der Hausknecht sah missbilligend in seine Schüssel, während Böttger eine weibische Stimme nachmachte. Als er spitz ein weibisches »Oh! Oh!« wehklagte und ein blödes Gesicht zog, war kein Halten mehr. Alles prustete los! Und als Böttger nicht nachließ und sich das Lachen weiter hochschaukelte, da lachte auch Lips mit, und gleichzeitig musste er an Lotter-Stoffel denken, wenn der die gleiche Geschichte so lange heraustrompetete, bis alle in der Grabich-Schenke wässrige Augen hatten. Es war nur ein Moment, dass Lips innehielt und ihn in der Erinnerung eine Wehmut anflog, dann lachte er wieder mit den anderen über Böttger, der nicht aufhören wollte, und sagte sich fest, dass dies nun sein neues Zuhause war. Schluss mit den Gedanken an früher! Und er musste unbedingt mit Böttger ins Gespräch kommen, um mehr über dessen geheimnisvolles Goldkochen zu erfahren. ›Lips Arnold‹, sagte er sich still. ›Ich bin Lips Arnold.‹
    Sonntags musste das ganze Gesinde die Morgenpredigt besuchen, die Pfarrer Porstmann in der Nikolai-Kirche hielt. Die Burschen verdrehten sich den Hals nach dem Stand der Frauen, und auch Lips schaute immer wieder zu Anna herüber. Er horchte auf, als Pfarrer Porstmann über das Böse sprach. Es war, als würde er über die Welt der Kochemer reden, und es lag etwas Eindringliches in der Stimme des Pfarrers, dem er sich nur schwer entziehen konnte. Der Pfarrer haspelte die Worte auch nicht hohl herunter wie die Präzeptoren im Armenhaus, sondern er sprach mit ganzer Seele. Er ließ Pausen zwischen den Sätzen, sodass die Worte nachklangen und die Menschen Taschentücher auf ihre Münder drückten, um ihr Husten zurückzuhalten. Manche Menschen, sprach Pfarrer Porstmann, wären ganz beherrscht vom bösen Wesen, die abscheulichsten Grausamkeiten und viehische fleischliche Ausschweifungen mit ihren Vielweibern wären ihnen eine satanische Lust. Mord und Totschlag wären ihre Religion, und der Kampf der Priester gegen das böse Wesen wäre ihre schwierigste Pflicht.
    Lips hörte die Worte, und das Bild von Arnolds Gesicht verschmolz mit dem des Pfarrers. Je länger er zum Pfarrer aufsah, desto ähnlicher schien er Arnold zu sein, und er dachte für einen Augenblick, dass der Pfarrer über das böse Wesen des Vaters sprach, und er schrak wieder zusammen, als müsste ihm jeder seine wahre Herkunft ansehen.
    Nach dem Gottesdienst versammelten sich einige Kirchgänger in Gruppen auf dem Kirchplatz. Froh gestimmt über die freie Stunde bis zum Mittagsbrot stand das Gesinde abseits. Die Mägde wurden von den Knechten umringt, und alle blickten hinüber zu den Herrschaften, die sich gleich an der Kirchtür zusammenfanden. Darunter waren einige Herren, die sich, wie Lips beobachtet hatte, auch öfter im Haus des Apothekers zu privaten Gottesdiensten versammelten. Lips stand direkt hinter Anna und beugte sich zu ihr, als sie versteckt auf einen Herrn wies, der mit dem Apotheker sprach. Das wäre ein ganz berühmter Chymicus namens Kunkel von Löwenstern – wie Anna wusste –, ›eine richtige Exzellenz und Herr Minister und Goldkocher‹. Der wäre so berühmt, dass der Kurfürst ihm eine ganze Insel mit lauter Pfauen darauf geschenkt habe, weswegen diese Pfaueninsel heißen würde. Das müssten so was wie große Hühner mit langen Federn sein, erklärte Anna. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und wies auf einen anderen Herrn, der etwas abseits stand und sich angeregt mit Böttger unterhielt. Das wäre der Medicus Dippel, auch so ein Frommer. Der wäre auch ganz berühmt, weil der wirklich schon mal ein paar Pfund Gold gekocht hätte!
    »Alles Quatsch!«, sagte der Viehknecht und versuchte Lips wegzuschieben, aber Lips hielt dagegen und blickte gebannt hinüber zu dem Goldmacher Dippel, welcher sich ohne jeden Pomp kleidete und zu den Worten von Böttger nachdenklich das Kinn rieb. Bestimmt ging es um Alchemie, überlegte Lips. Pfarrer Porstmann trat nun aus dem Nebeneingang der Kirche und ging auf die wartenden Herrschaften zu. Als er näher kam, verstummten die Menschen, traten ehrfürchtig zurück und bildeten

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