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Der Goldkocher

Der Goldkocher

Titel: Der Goldkocher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Adloff
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für ihn eine Gasse.
    »Gelobt sei Jesus Christus!«, rief eine Frau, die bei der Predigt jedes Wort mit den Lippen nachgesprochen hatte. Sie trat vor und kniete vor dem Pfarrer und berührte mit dem Mund den Saum seines Gewandes, dann lief sie weg. Lips war tief beeindruckt von Pfarrer Porstmann, der kein Brecheisen wie der Vater brauchte, um sich Respekt zu verschaffen. Nein, die Menschen zeigten wie von selbst Achtung und Ehrfurcht und knieten vor seinem Wort und seiner Gelehrsamkeit.
    ***
    Einige Tage darauf stellte Anna in der Frühe wieder die Koteimer heraus und zog ein gebrochenes Stück hellrotes Glas aus ihrer Tasche. »Hier, Rubinglas!«, triumphierte Anna. »Das hat der Herr von Kunkel erfunden. Richtiges Goldrubinglas!«
    Lips griff danach, aber Anna steckte es sofort wieder in ihre Schürze. »Und wie kommst du daran?«
    »Hat er mir gerade zugesteckt«, sagte Anna. Sie hielt ihre Hand in der Tasche und lachte ihn herausfordernd an.
    »Gerade erst?«, fragte Lips.
    Sie standen sich ganz dicht einander gegenüber und Lips roch ihren Atem, der nach süß-saurem Apfel duftete.
    »Er war die ganze Nacht unten mit dem Böttger im Keller.« Anna kicherte. »Der Herr von Kunkel war ganz besoffen vom Goldkochen.«
    »Zeig doch mal her!«, sagte Lips und griff nach Annas Handgelenk. Er wollte ihre Hand aus der Tasche ziehen, aber sie stemmte entschlossen dagegen. Lips hielt ihre Hand fest umschlossen und drängte sie in den Hausflur, ihre Leiber stießen aneinander wie in kindischer Rangelei. Sie legte ihren Kopf etwas zurück, und es zuckte plötzlich kaum merklich um ihren Mund. Er sah in ihre Augen, die seinen Blick irritiert erwiderten. Lips spürte in seiner Unerfahrenheit, dass dies der Augenblick war, sie zu küssen. Er musste schlucken, plötzlich schlug irgendwo im Haus eine Tür.
    »Sie streiten wieder!«, flüsterte Anna mit Blick nach oben und blies ihre Locke aus dem Gesicht. »Die Zornin hat Angst, dass sie dem Herrn Apotheker wieder einen Krüppel macht! Aber die muss ihrem Mann doch ein Weib sein, sonst wird der doch ganz…« Sie suchte nach einem Wort. »Ja, buhlsüchtig wird der doch!« Anna drückte ihn wieder nach draußen und sah ihn dabei überkeck an. »Du darfst doch nicht ins Haus! Nicht, dass dich der Hausknecht sieht! Pass ja auf vor dem, mit dem ist nicht zu spaßen.«
    »Ich weiß. Und der Herr Kunkel, warum schenkt der dir was?«
    »Er ist eben ein richtiger Herr Kavalier«, sagte Anna geschmeichelt. »Er hat mir auch gesagt, so eine Galanterie wie ich, die ist doch keine Magd. Ja, guck nur! Weil ich so ein feines Ansehen mache, hat er gesagt. Ich soll doch auf einen Mann Acht geben, der etwas Stattliches hermacht. Der Kutschen und Dienstboten hat und eine ganze Kiste voll Gold. Und der auch nicht mit dem Hausgeld rumgeizt und mir schöne Kleider nähen lässt.« Sie lachte ihn mit spitzem Mund an. »Du könntest mir ja auch mal was schenken!«
    Mit einem auffordernden Lächeln schloss Anna die Tür. Lips stand noch einen Moment und atmete durch. Anna schien unerreichbar. Nein, sagte er sich, er würde kein Knecht bleiben, und griff nach dem Koteimer.
    Böttger war eines Morgens verschwunden – was für großes Getuschel und Spekulationen sorgte. Wie erzählt wurde, hatte der Apotheker ihn vor den Gesellen wegen seines Goldsaftes verhöhnt. Das wäre wieder nur eine stinkende Brühe gewesen, und es wäre jetzt Schluss mit dem Herumsudeln. Endgültig! Böttger triebe sich nun in Hurenschenken herum und laboriere in der Spandauer Vorstadt mit einem Chymicus von zweifelhaftem Ruf, der sich wie Böttger dem Goldkochen verschrieben habe. Enttäuscht ging Lips an die Arbeit.
    ***
    An Heilig Abend wurde das Gesinde in die Bibliothek neben der Offizin befohlen. Hier wurden die Hausgottesdienste abgehalten und die zahlreichen Besucher empfangen. Lips beobachtete die anderen und tat ihnen nach. Schon im Aufgang dämpften alle ihre Stimmen, als gingen sie hinter einem Leichenkarren.
    Es verschlug Lips den Atem, als er in die Bibliothek trat. Er konnte sich nicht satt sehen an dem Anblick: Vollgestopfte Bücherregale reichten rundum bis hoch an die Decke. Für die oberen Reihen gab es eine kunstvoll geschnitzte Leiter. Überall standen dicke Kerzen, wie sie in Kirchen abgebrannt wurden, und von der Decke erstrahlte das Licht eines vielarmigen Kerzenleuchters. Und neben dem Kamin stand ein Holzgestell mit einer großen Kugel darin. Eine gemalte Erdkugel, vermutete Lips. Er fühlte sich ganz

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