Der Goldkocher
ihm. Er war doch kein Schläger wie der Vater und musste daran denken, wie er selbst vor gar nicht langer Zeit vor den Haustüren weggeprügelt worden war. Aber dann sagte er sich, dass er sich fügen und weiter als Knecht bewähren musste.
Schon zweimal hatte Lips ein Bettelweib verscheucht, das sicher doppelt so alt wie er war. Sie hatte jammernd vor ihm gekniet, als hätte er ihr etwas geben können, und mit erhobenen Händen seine Gnade beschworen. Sie wollte doch nur ein verzehrendes Pflaster gegen die schwarzen Klumpen, die sich in ihren Brüsten festgesetzt hätten. Er wachte am Tor, da fiel sein Blick auf den Torpfeiler, an dem ganz unten kaum sichtbar Zinken eingeritzt waren: zuerst ein V, was bedeutete, dass ein Kranker hier etwas bekam, und daneben zwei OOmit einem X dahinter. Man musste also fromm tun und konnte recht zudringlich werden.
Mit einem Stein kratzte Lips die Zinken weg. Er hockte am Torpfeiler und ritzte ein Kästchen mit einem Punkt darin, was bedeutete, dass hier nichts gegeben wurde und brutale Schläge setzen konnte. Da trat Pfarrer Porstmann mit ernster Miene aus dem Haus. Lips stand auf, schlug sich verlegen die Hose ab und grüßte mit einem Bückling. Der Pfarrer nickte zurück und sah sich wartend um. Schon kam eine Kutsche angefahren, in die er sofort mit ernster Miene einstieg. Lips schreckte zusammen, als plötzlich der Viehknecht neben ihm stand.
»Er ist wieder nach Schöneberg gerufen worden!«, raunte der Viehknecht. »Eine Frau ist vom Satan besessen! Der Pfarrer fährt jeden Morgen hin. Wie verhext soll die sein. Die kriegt Schaum vorm Maul, wenn sie ihr das Kruzifix hinhalten. Der Pfarrer hat ja schon einige vom Satan befreit, aber diesmal soll's auf Leben und Tod gehen. Sag mal, warst du auch schon zur Hausbeichte?«
»Nein, der Pfarrer wird mich wohl vergessen haben.« Lips beobachtete das Bettelweib, das hinter den Buden auf dem Wochenmarkt herumstöberte.
Der Viehknecht sah der Kutsche nach, die um die Ecke bog, und lächelte hintergründig. »Der wird die Hausbeichte wieder aufgegeben haben. Es wollte ja keiner irgendwas zugeben! Ich sollte mich im Vertrauen freisprechen, hat der gemeint. Ob was auf meine Seele drückt. Danach würde mir leichter! So ein Zeugs. Sag, hast du schon von Böttger gehört? Nein? In der Vorstadt laboriert der wieder rum mit diesem Siebert und einem gewissen Röber. Wer weiß, wo die die Münzen dafür herhaben. Ist 'ne ganz zwielichtige Angelegenheit mit denen. Und auf die Flasche ist der Böttger mächtig gekommen.«
Das Bettelweib kam jetzt wieder auf die Apotheke zu und setzte sich auf der anderen Straßenseite auf den Boden.
»Du musst der gleich beim ersten Mal eins rüberziehen, wenn die frech wird«, sagte der Viehknecht und schlug mit der Handkante, als würde er einem Hasen das Genick zerschlagen. »Die merken gleich, dass du ein Weichei bist!«
***
Die Wochen gingen gleichförmig dahin. Lips besorgte weiter mit Fleiß seine Arbeiten. Dabei gierte er nach allem und prägte sich ein, was er aufschnappen konnte: die deutschen und lateinischen Namen der Naturalien, der destillierten Wässer und Chemikalien, auch wie sie zu Arzneien gemischt wurden und bei welchen Leiden sie genommen wurden. Sein Hunger auf Geistiges war noch größer geworden, seitdem er die Bibliothek gesehen und mit Böttger laboriert hatte. Das Geheimnis um den Stein der Weisen ließ ihn nicht mehr los und machte ihn unruhig. Den müsste er finden, sagte er sich, während er das Pistell in den Mörser schlug. Dann wäre er kein einfacher Knecht mehr, den der Hausknecht herumschikanieren konnte. Ein richtiger Herr wäre er, mit einer großen Bibliothek und einem schönen Schreibpult, wie er eins in der Offizin durch die halboffene Tür ausgespäht hatte.
Immer wenn Lips das Gesangsbuch sah, das der Pfarrer Porstmann sonntags nach dem Gottesdienst vor der Brust hielt, fragte er sich, ob er es wagen könnte den Pfarrer zu fragen, ob er sich eines ausleihen könne, um sich im Lesen zu üben. Anna sah er nur selten und dann meist nur kurz im Vorübergehen. Sie schien ihn nicht mehr als andere Knechte zu beachten.
***
Mit dem Frühjahr kam eine große Spannung über die Stadt. Das Feuerwerk zum Jahrhundertwechsel war noch in aller Munde, da bauten die Feuerwerker schon wieder neue, noch höhere Gerüste für die Lichtspiele, die anlässlich der Hochzeit einer Kurfürstentochter alles bisher Dagewesene beschämen sollten. Sechsspännige Prunkkutschen der hohen
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