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Der Goldkocher

Der Goldkocher

Titel: Der Goldkocher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Adloff
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damit er nahe den Bücherregalen war. Gleich daneben standen ein Sessel und ein Tisch, auf dem einige Bücher lagen. Manche steckten voller Lesezeichen. Auf den Buchrücken entzifferte er: Stahl, Zymotechnia Fundamentalis. Das Buch musste in Latein, der Sprache der Gelehrten, abgefasst sein. Dann: Müller , Mensis 1-5, eine einfache Druckschrift, die mit Fäden geheftet war; Pansa, Kurzer Bericht von der Colica, gewidmet dem Gnädigen Herrn und Patrone…
    Die Mägde aus dem Haupthaus kamen herein und wollten zu ihren Plätzen auf der hintersten Bank. Anna war blass und sah übernächtigt aus. Sie trug ein dunkles Kleid, das Lips einmal an der Zornin gesehen hatte. An der Seite war ein Stück Tuch hineingenäht, damit ihr Busen hineinpasste. Böttger saß in einer Reihe vor Lips und drehte sich mit dem Schalk im Gesicht zu ihm um, als Anna sich an ihm vorbeidrückte. Er setzte an und wollte etwas flüstern, schien sich aber bei Lips' strengem Blick zu besinnen und drehte sich wieder um.
    Als Pfarrer Porstmann eintrat, erhoben sich alle. Hinter ihm folgte die Familie des Apothekers. Der Neugeborene wurde von Elisabeth Porstmann gehalten, die den Jungen anlachte und in ihrem Tantenglück ihr Froschgesicht vergaß. Der Herr, der neben ihr ging, musste der berühmte Chymicus Kunkel sein. Er hatte das kantige Gesicht eines alten Mannes und einen Trommelbauch wie ein Wassersüchtiger, dazu dürre Storchenbeine, die in fein gewirkten Seidenstrümpfen steckten. Lotter-Stoffel hatte einmal ein Paar Seidenstrümpfe in der Grabich-Schenke herumgezeigt. Jeder durfte einmal die rutschige Seide fühlen, und Lotter-Stoffel protzte damit, dass man jeden Strumpf gegen ein schnelles Reitpferd eintauschen konnte.
    Mit umschmeichelnder Galanterie wechselte Kunkel beim Hineinkommen mit Elisabeth Porstmann, die verunsichert aufblickte, die Seite. Kunkel kam Lips unvermittelt ganz nahe und verströmte dabei einen trockenen Alt-Männer-Geruch wie von billigem Essig.
    Obwohl Pfarrer Porstmann in der Dankpredigt sehr schöne Worte fand und mit großer Eindringlichkeit sprach, konnte Lips sich nicht richtig besinnen. Immer wieder musste er zu Anna sehen, dann zu Kunkel, der vorne neben dem Apotheker saß und mit Ernst zuhörte. Der Pfarrer sprach über den Segen des christlichen Ehestandes, wenn sich der Samen des Ehemannes in wohlgeratenen Nachkommen fortpflanze. Kunkel nickte zustimmend, als der Pfarrer in Eifer kam und sich über die Hurerei an der Jungfernbrücke ausließ, wo die göttlichen Gesetze nun schon bei Tageslicht in den Schmutz getreten würden – alles keinen Steinwurf vom Schloss des Kurfürsten entfernt und von der Obrigkeit geduldet.
    Als es zur Taufzeremonie ging, standen alle auf. Lips sah, wie Böttger seinen Blick suchend über die Bücher in den Regalen rechts von ihnen schweifen ließ und folgte seinem Blick. Hermetisches Museum stand auf einem Buchrücken. Daneben ein Traktaetlein vom Stein der Weisen. Das hatte Böttger einmal unten im Laboratorium gehabt! Wie kam dieser an die Bücher? Wie gerne hätte Lips danach gegriffen und darin gelesen! Dann stockte er. Kunkel, Oeffentliche Zuschrift; Kunkel, Chymische Anmerkungen; Kunkel, Nützliche Observationes; Kunkel, Chymischer Probierstein; Kunkel, Vollkommene Glasmacherkunst. Die Reihe ging noch weiter.
    Verfluchte Glasmacherkunst! Lips sah zu Anna, dann zu Kunkel, der sich gedankenverloren die Nase rieb und seine Lippen gingen, als würde er Geld zählen. Seine Hände hatten einen fleckigen Ausschlag. Lips bemerkte nichts zwischen Anna und ihm. Beide standen ganz für sich. Vielleicht, überlegte Lips, hatte Böttger die ganze Geschichte mit dem Kunkel nur ausgesponnen, um ihn aufzustacheln. Zuzutrauen war es Böttger. Und warum sollte Kunkel denn seine Glasscherben nicht an das Gesinde verschenken! Vielleicht würde Lips ja auch mal etwas von dem Goldrubinglas bekommen! Und dann, sagte er sich, ließe Anna sich bestimmt nicht von solchen Händen begrapschen. Dieser Ausschlag war doch ekelhaft! Er sah wieder zur Reihe von Kunkels Büchern, die nicht enden wollte, und fühlte sich ganz klein: Kunkel, Nuetzliche Observationes; Kunkel, Collegiumphysicochymicumexperimentale; Kunkel…
    Die nächsten Titel konnte er nicht mehr sehen. Das Neugeborene schrie sich während der Taufzeremonie ein, und Elisabeth wiegte es ruckig auf und ab. In ihrem Fischgesicht lag jetzt wieder dieser Ekel. Nach dem letzten Gebet traten alle Bediensteten nach ihrem Rang vor. Die Männer

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