Der Goldkocher
wären Dragoner hinter einem Planwagen her, in dem Böttger vermutet würde. Einige aus den Nachbarhäusern hätten gemeint, der Wagen wäre nach Hamburg gefahren, andere hätten von einer Finte gesprochen. Der Planwagen wäre unterwegs nach Polen oder gar zu den Tataren! Und eine blinde Alte hätte sich für einen Groschen von einem Dragoner in ihre Hand spucken lassen. Sie hätte den Schleim gestrichen und geweissagt, Böttger wäre auf dem Weg nach Holland. Sie sähe ihn ganz lebendig vor ihren Augen, hätte die gesagt, ja, ganz deutlich. In goldene Ketten hätten sie ihn geschmiedet, und die Dragoner sollten sich ja beeilen, den Goldmacher wollten seine Häscher mit dem Schiff weit wegbringen.
»Hinüber in die Neue Welt«, sagte der Viehknecht. »Nach Amerika.«
26
DieEreignisse sollten sich in den nächsten Wochen dramatisch zuspitzen. Böttgers Flucht blieb Stadtgespräch. Die Nachrichten überschlugen sich, und jeder wollte auf der Gasse etwas Neues aufgeschnappt haben. Lips sah Anna einige Male mit verbitterter Miene über den Hof gehen. Die Menschen drängten weiterhin in die Offizin und erhofften vom Apotheker genaue Berichte über Böttgers Probe, aber der ließ sich auf nichts ein und fragte nach, womit er denn höflichst zu Diensten sein könne. Selbst der Hausknecht brannte vor Neugierde und lud mittags einen Schnurrjuden ein, der versicherte, geradewegs aus Sachsen gekommen zu sein, an den Betteltisch in der Gesindestube, damit er gegen eine kleine Münze über die Ereignisse in Wittenberg berichtete. Dort war, das war schon seit Tagen bekannt, Böttger in der Vorstadt verhaftet worden.
»Die Brandenburger hatten ein Fahndungsschreiben geschickt«, erzählte der Schnurrjude und löffelte zwischen den Worten hastig seine Suppe. »Deswegen haben ihn die Sachsen einkassiert. Der arme Herr Böttger«, fügte der Schnurrjude an, aber er sah rundum in mitleidlose Gesichter und blieb einen Augenblick an Lips' Augen hängen. »Was für ein großes Unglück für den Herrn Böttger!«
»Spar dir das Gesulze, Jud'!«, sagte der Hausknecht. »Jetzt erzähl schon! Die Suppe kannst du nachher essen.«
Der Schnurrjude hielt den Teller mit beiden Händen fest, während er weitersprach. »Die Sachsen wussten ja nicht, warum euer König den Böttger zurückhaben will. Deswegen haben sie ihn erst mal ins Verhör genommen. Der Herr Böttger wusste aber auch nicht, warum er gesucht wird. Der konnte die Aufregung gar nicht erklären.«
»Sonst hat der doch nicht das Maul zugekriegt!«, rief der Viehknecht.
»Ruhe!«, rief der Hausknecht. »Erzähl schon weiter!«
»Der Herr Böttger konnte sich also keinen Reim auf die Einkassierung machen. Er hätte sich nichts zuschulden kommen lassen, hat er gesagt. Alles wäre nur eine böse Verwechslung. Er gibt vor, er will in Wittenberg studieren. In aller Ruhe und Bescheidenheit.«
»Pah! Böttger und bescheiden!«, sagte der Hausknecht.
»Was will er denn studieren?«, fragte Lips.
Der Schnurrjude sprach jetzt ganz langsam. »Hu-mon-ni oder so.«
»Was ist das denn?«, fragte der Hausknecht.
Alle zuckten mit den Schultern. Auch Lips schwieg. ›Humaniora‹, buchstabierte er für sich. Böttger wollte also, wie er es einmal vor dem Windofen angekündigt hatte, die Sprachen und Schriften des Altertums studieren. Lateinische Bücher hatte Böttger schon einige im Laboratorium gelesen. Die Titel hatte Lips sich eingeprägt. Jetzt wollte Böttger also die Sprache der Griechen lernen, um deren alte Meister der Alchemie zu studieren. Lips musste Pfarrer Porstmann unbedingt noch einmal nach einem lateinischen Buch fragen, damit er endlich die Sprache der Römer lernen konnte. Auch das Buch von diesem Heinrich Khunrath war in Latein geschrieben, wie nach dem Titel zu vermuten war.
Mehr wusste der Schnurrjude nicht zu erzählen. Immer wieder fand sich das Gesinde in Gruppen zusammen, um die neuesten Nachrichten zu hören. Am genauesten wusste – wie immer – Anna über alles Bescheid. Lips passte sie am Brunnen ab. Sie fragte ihn, ob er Wasser für sie schöpfen könnte. Im ersten Augenblick zögerte er. Der Apotheker, so wusste sie zu erzählen, war mehrfach zu Verhören an den Königshof befohlen worden. Sie hielt die Stimme angehoben und ließ eine Pause, womit sie andeutete, dass sie noch mehr wusste, und sah ihn entwaffnend an. Lips trug ihr dann auch die Eimer bis zum Eingang vom Haupthaus. Sie lachte jetzt plötzlich wieder mit ihm, und die Bitterkeit, die in den
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