Der Goldkocher
Reihe hinter den Apotheker und verneigten sich. Lips sah am klagenden Mienenspiel und den steifen Bewegungen von Leibniz, dass es um Schmerzen in den Knochen ging, wohl besonders in den Knien, auf die er vorsichtig mit dem Gehstock zeigte, und in den Fingern, die er dem Apotheker entgegenreckte und mit schmerzverzerrter Miene langsam zur Faust schloss.
Der Apotheker winkte den Gesellen, mit ihren Arbeiten fortzufahren, und griff im Regal nach einer Sirupkanne mit blauer Kartusche, die Lips schon einmal nachgefüllt hatte: S(irupus) Paeoniae. M(asculin) – wie er sich eingeprägt hatte; auf deutsch Pfingstrosensirup. Es half gegen Krämpfe, böse Gicht und schweren Atem.
Ein Apothekengeselle kam mit einem Stuhl angelaufen und stellte ihn in die Nähe der Tür. Lips wich zurück in den Flur, als Leibniz auf ihn zuhumpelte. »Nur ein wenig ausruhen!« Dann hörte er, wie der Apotheker die Einnahme des Sirups erklärte. Der Gelehrte ließ ihn kaum aussprechen und klagte sein Leid mit dünner Singsangstimme, merkwürdig kehlig und verschnarrt, sodass das K zum G wurde. Es wurden einige Höflichkeiten ausgetauscht, und Leibniz schimpfte wieder über seinem schmerzenden ›Görper‹.
»Ich gomme aus Dresden«, sagte Leibniz dann. »Der Böttger…«
Lips sah sich um, dann stellte er sich näher an die Tür.
»Die Stadt ist im Aufruhr, lauter Fremde, die die Freilassung Böttgers verlangen und versuchen, die Menschen gegen die Obriggeit aufzuwiegeln… Aaah, dieses Gnie! Dreimal am Tag den Sirup sagt Er? Gibt es nichts Billiges?«
Der Apotheker murmelte etwas.
»Schon gut. Es wurde schon von einer groß angelegten Entführung gemungelt. Jetzt hat Gönig August diesen Böttger zur Verwahrung auf die Festung Gönigstein gebracht. Wie ich gehört habe, soll der Goldglumpen ziemlich mächtig gewesen sein, den der Böttger hier in der Apothege transmutiert hat. Ihr gennt ja mein allgemeines Interesse an den Gesetzen der Natur. Gann ich den Goldglumpen einmal sehen?«
»Nichts lieber als das, gnädiger Herr Leibniz, aber der König hat ihn … ehm … abgefordert. Laboriert Böttger auf der Festung?«
»Wie man hört, tobt Böttger in seinem Gefängnis. Rennt mit dem Gopf gegen die Wand und droht, sich selbst zu entleiben! In seiner Verzweiflung hat er sich dem Trung ergeben. Täglich mindestens drei Flaschen Wein und zehn bis vierzehn Gannen Bier, wie mir versichert wurde. Ein Säufer, der Gerl! Hat er hier auch so arg gesoffen?«
»Nein, natürlich nicht. Ich halte auf ein rechtes Regiment. Ah, seht! Da kommt ja der Medicus Dippel.«
»Dann muss ich jetzt aber los!«
»Darf ich dem gnädigen Herrn Leibniz aufhelfen?«
»Dange, dange! Es liegt mir ja fern, gegen den Herrn Medigus Dippel zu intrigieren, aber wie ich höre, ist er starg der Algemie verfallen und steggt seine Nase überall rein. Sagt, Herr Apotheker, wäre ein Hafertrang nicht billiger als dieser Sirup? Der Hafer soll doch auch bei Augenmängeln helfen! Ihr wisst, das viele Lesen bei Gerzenlicht!«
»Sicher, gnädiger Herr Leibniz, ein Hafertrank bewirkt wahre Wunder! Er lindert auch den Schaden in den Knien, hilft auch bei Bangigkeit des Herzens. Wir müssten den Hafertrank erst zubereiten, aber… Ah, der Medicus Dippel hat uns bemerkt.«
»Ich muss jetzt los.« Leibniz kam in Hektik. »Am Hofe, Ihr wisst schon. Aua! Fass Er doch nicht so grob! Schigt mir dann die Arznei…«
Lips wich schnell von der Tür zurück. Er setzte sich auf die Stufen der Treppe und überlegte. Böttger hatte ihm gegenüber einmal erwähnt, dass Leibniz der Secretair einer geheimen alchemistischen Gesellschaft war. Von einem gewissen Diesbach hätte Böttger das erfahren. Dieser Diesbach wohnte drüben auf dem Friedrichswerder, war Farbfabrikant und auch ein Alchemist. Diesbach hätte wiederum vor einiger Zeit mit dem Medicus und Alchemisten Dippel zusammen laboriert, bis sie im Streit auseinandergegangen waren. Ein besonderes Blau zum Färben von Stoffen hatten sie bei der Suche nach dem Stein gefunden. Berliner Blau wurde es genannt.
Dippel behauptete nun, er habe den Farbstoff allein gefunden. Diesbach wäre nur zufällig im Laboratorium gewesen und hätte nicht den geringsten chymischen Verstand. Dippel hatte jetzt ein eigenes Laboratorium eingerichtet, das ihm Graf von Wittgenstein finanziert hatte. Auch der Graf war ein Anhänger der Alchemie, galt aber ebenfalls als chymischer Scharlatan, was Böttger einmal von Kunkel gehört haben wollte. Der Kunkel und der
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