Der Goldkocher
einziges Elend. Die Leibärzte wollten den König schon zur Ader lassen. Es würde sich gar keiner mehr wegen der Geschichte mit Böttger zum König hineintrauen. Der König hätte getobt, er müsse dann eben Soldaten in Marsch setzen.
Lips kehrte eines Mittags die Straße und hörte von oben aus dem Haus das fromme Singen der Zornin, als ein älterer Herr anreiste. Dieser wurde sehr freundlich vom Herrn Apotheker und Pfarrer Porstmann empfangen und oben in der Stube vom dummen Heinrich einquartiert, weil – so Anna – die Zornin in der Wohnstube einen Altar eingerichtet habe und mit ihrem Gottes-Singsang-Rumgejaule alle zur Weißglut bringen würde. Nicht auszuhalten! Eine Zumutung wäre das besonders für den Herrn Apotheker! Wie Anna gleich wusste, war der angereiste Herr der Stiefvater von Böttger, ein gewisser Tiemann, auf den man schon gewartet habe. Lips war ganz überrascht, denn Böttger hatte nie von einem Stiefvater erzählt. Anna hatte erlauscht, dass dieser Tiemann sehr verärgert über das Herumlaborieren seines Stiefsohns war. Dafür habe er nicht das Lehrgeld hingeworfen. Der Böttger, habe dieser Tiemann gemeint, würde sich mit dem Herumsudeln noch um Kopf und Kragen bringen. Er habe ihn immer deswegen gewarnt, aber der Herr Stiefsohn habe ja seinen starren Kopf. Später beim Nachtmahl habe dieser Tiemann geschimpft, die ganze Sache stinke ihn gewaltig an, er werde dringend zu Hause gebraucht. Und Böttger habe wohl Gold gemausert, aber doch nicht gemacht! Das jedenfalls hatte Anna erlauscht.
Einen Tag darauf fuhren Pfarrer Porstmann und Tiemann nach Wittenberg, um die Freilassung Böttgers zu erwirken. Nach einer Woche fuhr die Kalesche wieder vor, und Pfarrer Porstmann und Tiemann gingen mit sauren Gesichtern ins Haus. Wie sich bald herumsprach, hatten sich die Sachsen auf nichts eingelassen. Im Gegenteil: Unter starker Bewachung war Böttger zur sicheren Verwahrung nach Dresden gebracht worden.
27
DerWinter kam über die Stadt. Die Menschen wurden wieder von ihren Frostbeulen gepeinigt und fragten nach Essenzen für Fußbäder. Ausgediente Soldaten bettelten vor der Apotheke um etwas Krätzsalbe, und Eltern hetzten mit ernster Miene herbei, weil es ihre Kinder böse an den Hälsen bekommen hatten und sie schwer den Atem zogen.
Das Laboratorium blieb seit Böttgers Flucht verschlossen. In Lips brannte das alchemistische Fieber weiter. In Gedanken stellte er jede Einzelheit von Böttgers Goldprobe immer wieder nach. Wie gerne wäre Lips hinunter ins Laboratorium gegangen, hätte die Materien zusammengesucht und den Windofen angefacht! Aber jetzt stand er wieder unter dem Regiment des Hausknechtes, der ihn immer mit den niedersten Arbeiten schikanierte.
Einen Morgen stand Lips an der Tür zur Offizin und wartete darauf, dass ihm leere Flaschen für destillierte Wässer zum Säubern hinausgereicht wurden. Lips schielte durch die angelehnte Tür und zog das süße Gemisch der vielen Arzneien in sich hinein. Manchmal meinte er, auch den Geruch, der bei Böttgers Goldprobe entstanden war, in dem Gemisch zu erschnuppern, aber er war nicht sicher. Er drückte die Tür etwas weiter auf und konnte sich gar nicht satt sehen an dem Prunk in der Offizin, die er noch nie hatte betreten dürfen. Er bestaunte die verzierten Regale und bemalten Schubladen mit Heiligenbildern, die beschrifteten Stand- und Schaugefäße aus Porzellan und das ausgestopfte Krokodil zum Anlocken der Kundschaft; dann an der Decke die vier fast lebensgroßen Frauen, die wallende Tücher trugen, welche ihre Brüste bloßließen, und Lips musste bei dem Anblick an Anna denken und wie sich ihre Brüste wohl anfühlen mochten. Ganz weiß stellte er sich die Haut vor, ja, warm und weiß, und sie roch nach frisch geschlagener Sahne.
Er beugte sich vor und sah den Apotheker, der mit einer blassgesichtigen Frau sprach, als die Tür aufgestoßen wurde. Ein Herr mit hoher Perücke klopfte mit seinem Gehstock den Schneematsch von den Schuhen, dann drehte er sich um und humpelte beschwerlich in die Offizin. An der Seite schlackerte ein Degen. Lips erkannte den Mann wieder. Es war der Gelehrte Leibniz, der Böttger damals so sehr in Aufregung versetzt hatte und den dieser unbedingt hatte kennen lernen wollen.
Der Apotheker ließ die Frau mit einer entschuldigenden Geste stehen. Er ging sofort auf Leibniz zu und begrüßte ihn mit einer Verbeugung. Auch die anderen Apothekengesellen unterbrachen ihre Arbeiten, stellten sich rasch in einer
Weitere Kostenlose Bücher