Der Goldschatz der vom Himmel fiel
Fenster entfernt — wurde soeben
das sechste geöffnet.
Gelächter und Stimmen wurden
lauter, aber nicht so laut, als befänden sich die Verursacher hinter Fenster
sechs.
Stattdessen sagte
Schwitzke-Nöhl mit der nuscheligen Party-Stimme des Halbbetrunkenen: „Ich zieh’
schon mal die Korken aus den Flaschen. Jetzt ran an den Barolo ( italienischer
Rotwein )! Mann, Uwe! Ist ja der beste Jahrgang. Euch fehlt’s wirklich an
nichts.“
Eine Knarr-Stimme antwortete.
Tim verstand nicht alles, nur ein paar Worte wie: „...man lebt nur einmal...“
Mehr Gespräch war nicht.
Vermutlich wegen innerhäusigen Miefs ließ Schwitzke Nachtluft herein.
Tim machte Karl Zeichen,
pirschte lautlos an der Mauer entlang und kauerte sich unter Fenster sechs. Das
lag nicht hoch. Aufgerichtet hätte Tim mit der Hüfte die Fensterbank berührt.
Kein Gitter. Ein Geruch von
Küche. Offenbar gab’s Couscous (Brei aus Hartweizengries) mit
Hammelfleisch, Würsten und Eiern. Dazu Harissa, die köstlich scharfe Soße.
Jemand — vermutlich Schwitzke —
rülpste wie ein fresssatter Schakal. Mit lautem Fluppppp wurden Korken aus
Flaschenhälsen entfernt. Ein schmatziger Schluck aus der Flasche. Wieder ein
Bäuerchen, das die Fliegen an der Wand aufscheuchte.
Alles in allem, dachte Tim,
Grund genug für Frischluftzufuhr.
Anscheinend befand sich nur noch
einer in der Küche. Rechts vom Fenster wurde hantiert.
Plötzliche Stille. Schritte
hinaus. Das Fenster blieb offen.
Entfernt Schwitzkes Stimme:
„Jaja, kommt gleich. Fünf Pullen von eurem edelsten Barolo. Aber man muss doch
mal müssen dürfen.“
Gelächter. Eine Balkan-Stimme
rief: „Machen nicht in die Hose, du! Denn Gold ist nicht für Hosenkacker.“
Gelächter.
Der Boss hat einen Witz
gemacht, dachte Tim. Alle beölen sich und liegen auf dem Bauch.
Vorsichtig schraubte er sich
hoch.
Die Küche war ein
Schweinestall.
Fünf Rotweinflaschen, bauchig
und dunkel, standen auf einer Art Anrichte rechts vom Fenster. In Reichweite.
Korken mit violetter Feuchtfärbung in der unteren Hälfte lagen daneben.
Man darf auch mal Glück haben,
dachte Tim, Schwein, Dusel, Massel. Und wenn nicht — wäre ich am Ende der
Sauforgie eingedrungen und hätte’s den Schnarchsäcken in die Mäuler geträufelt.
Das K.o.-Tropfen-Fläschchen
hatte einen pipetten-artigen Hals. Anfangs kam kein Tropfen raus. Tim musste
schütteln. Dann beugte er sich abermals durchs Fenster hinein. Jede Flasche
erhielt eine gehörige Portion.
Loddersteg hatte versichert,
das Valdekaja schmecke nach nichts und sei geruchlos wie reine Luft.
Tim beobachtete die Flaschen.
Verfärbte sich der Wein? Nein, er behielt sein samtiges Rot.
Deckung. Schwitzke kam zurück.
Er befrachtete sich mit den Flaschen, grummelte, weil er nicht alle tragen
konnte, ging zweimal. Dann wurde in der Küche das Licht gelöscht.
Tim huschte zu Karl zurück.
„Hast du den Barolo vergiftet?“
„Die hätten es verdient. Aber
Betäubung ist auch nicht schlecht. Außerdem sind wir ja gegen die Todesstrafe.“
Die anderen auf dieser Seite
liegenden Fenster waren innen verhangen. Von Vorhängen, die mehr Schleier als
Gardine waren — trotzdem blickdicht. Die Jungs umrundeten das Gebäude und
fanden an der Schmalseite Fenster, wo es nicht so genierlich zuging, sondern
freie Sicht herrschte.
Ein großer Innenraum. Teppiche
an den Wänden, Teppiche übereinander in der schwimmbecken-artigen Sitzgrube.
Kamelsättel als Hocker, marokkanische Lederhocker, reich verzierte Sitzkissen.
Die Männer lagen, lümmelten,
futterten schweinemäßig von großen Tabletts, auf denen sich jene Speisen
türmten, die Tim am Geruch erkannt hatte. Überall lagen leere Weinflaschen
herum. Zigarren wurden gequalmt. Die Luft war wie Nebel.
Slobodan Slibowitz trank Barolo
aus der Flasche. Drazen Balic, der genau so abstoßend aussah, tat’s ihm nach.
Aus derselben Pulle. Anscheinend hatten sie nicht nur ein gemeinsames
Schicksal, sondern teilten auch den Wein.
Die drei klotzigen
Leibgardisten lagen schon flach. Eben kippte der Dritte nach hinten. Jetzt
sackte Slibowitz aufs Gesicht. Balic fiel die Flasche aus der Hand. Der
.Schlächter* sank zur Seite und blieb auf einem Arm liegen, als wollte er ihn
abbrechen.
Vier Flaschen liefen aus.
Mit der fünften war Schwitzke nuckelnd
beschäftigt.
Nur einer trank nicht, paffte
zwar an seiner Zigarette, schien aber total nüchtern zu sein.
„Sieh dir den an!“, flüsterte
Tim — und ahmte die Stimme des
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