Der Goldschmied
Schulter und drückte mit seiner ganzen Kraft. Trotzdem schien der junge Graf über unglaubliche Kräfte zu verfügen.
»Haltet ihn, Männer, haltet ihn«, befahl der Medicus.
Auch er schwitzte jetzt von der Anspannung.
Gwyn tupfte ihm mit einem Tuch den Schweiß aus dem Gesicht.
»Der Hals muss ruhen, keinen Zoll darf er sich regen«, keuchte der Arzt. »Haltet ihn, so fest ihr könnt.«
Und er zog weiter an dem Helm.
»Haltet ihn … haltet ihn!«
Das leise Wimmern des Schmerzgepeinigten war zu einem Stöhnen geworden.
»Haltet ihn …!«
Ein Laut war auf einmal zu hören, erst ein halb ersticktes Gurgeln bloß, das immer lauter und lauter wurde.
»Haltet ihn …!«, rief der Medicus.
Da hörten sie alle den Schrei, der nichts mehr vom Laut eines Menschen an sich hatte. Ein Schrei voller Schmerz und Todesangst. Gwyn glaubte, laut mitschreien zu müssen, dann könnte er das laute Dröhnen seines eigenen Herzens, das Keuchen und Stöhnen der Knechte und den schnellen Atem des Arztes übertönen. Dann brauchte er all dies nicht mehr zu hören und vor allem nicht das grauenvolle Gebrüll des Mannes.
»Haltet ihn fest«, keuchte der Medicus.
Der junge Graf schrie wie ein Tier.
Zoll um Zoll rückte der Helm höher. Jetzt war bereits das Kinn zu sehen. Jochen knirschte laut mit den Zähnen. Die Helfer hatten sich jetzt auf den zuckenden Körper gekniet, so dass er nicht einmal die kleinste Bewegung machen konnte.
»Haltet ihn, Männer!«, brüllte der Arzt, und seine Stimme klang schrill.
Der Helm war fast herunter.
Kinn und Nase waren zu sehen. Dort, wo sich bei einem Menschen der Mund befindet, war nur ein Loch, weit, eine klaffende Wunde, schwarz voll geronnenem Blut.
Der Verletzte brüllte, und kleine Rinnsale frischen Blutes rannen ihm am Kinn herunter, überall dort, wo sich die frische Bruchwunde wieder öffnete. Seine Zunge schnellte in der Mundhöhle hin und her wie ein großer, zuckender Wurm.
»Jetzt, Faber, jetzt …«, befahl der Medicus.
Gwyn hielt die eine Hälfte des metallenen Gerüstes an den Hals des Mannes. Mit Jochens Hilfe legte er auch die andere Hälfte an. Gemeinsam drehten sie, jeder von einer Seite, langsam die massiven Schrauben an, die, weich gepolstert mit Schafwolle, das verletzte Gewebe stützten und jede Bewegung des Halses vermeiden sollten.
Mit einem dumpfen Geräusch fiel der Helm zu Boden.
Das unmenschliche Brüllen des Grafen war plötzlich verstummt, denn er war in seinem Schmerz ohnmächtig geworden. Langsam richteten sich die Knechte auf. Vorsichtig, so als würde der Mann plötzlich wieder erwachen und eine allerletzte Bewegung vollführen. Gwyns Konstruktion hielt. Dem Verletzten würde es unmöglich sein, den Hals auch nur ein klein wenig zu bewegen. Alle Augen blickten auf den Medicus, der sich über den Ohnmächtigen gebeugt hatte. Lange lauschte er dessen Atemzügen. Als er sich aufrichtete, konnten alle die Anspannung in seinem schweißglänzenden Gesicht erkennen.
»Er atmet und schläft. Kommt, lasst uns für ihn beten.«
Gefolgt von Gwyn und Jochen und all den Knechten und Waffengefährten, trat der Mann vor das Zelt. Draußen, im ersten Licht des beginnenden Tages, kniete sich der Medicus nieder und begann, laut zu beten. Ringsum, überall vor den Zelten und Feuern, knieten Ritter und Knechte, Freie und Unfreie nieder und folgten seinem Gebet.
Es geschah, woran niemand so recht geglaubt hatte: Das Fieber des jungen Grafen stieg nicht mehr weiter. Er schlief tief und ruhig den ganzen darauffolgenden Tag bis in die späte Nacht hinein. Als er erwachte, verlangte er zu trinken und fiel erneut zurück in tiefen Schlaf.
Das Schiedsgericht des Turniers hatte nach eintägiger Beratung beschlossen, trotz dieses Vorfalles das Stechen fortzuführen. Dem Landgrafen Franz vom Erlengrund war kein schuldhaftes Verhalten zur Last gelegt worden. Er hatte sich nicht der Regel widrig verhalten, und sein Kampf war wohl hart, aber fair gewesen. Der junge Ritter von Hagenau hatte einfach den falschen Gegner gewählt, denn der vom Erlengrund war ein erfahrener Kämpfer, der bereits auf dem ersten Kreuzzug bis Antiochia gekommen war. Er und seine Truppe waren die ersten Kreuzritter gewesen, welche die Stadt nach über einem Jahr der Belagerung als Erste erstürmten.
Mit einem Tag Verspätung begann am Nachmittag das Einzelstechen.
Jetzt ritt jeweils ein Reiter gegen einen Herausforderer. Solch ein Durchgang dauerte nicht lange, denn beide Reiter galoppierten,
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