Der Goldschmied
nur durch eine hölzerne Bande getrennt, aufeinander zu und versuchten, sich mit ihren schweren Turrnierlanzen aus dem Sattel zu heben. Dabei wurde so lange gen einander geritten, bis ein Sattel verwaist war. Wie dies geschah, war nicht entscheidend. Mehr als einmal passierte es, dass ein Reiter die Wucht des gegnerischen Aufpralls unbeschadet überstand, dann nach wenigen Sprüngen seines Pferdes doch aus dem Sattel flog. Manchmal war solch ein Streiter plötzlich ohnmächtig geworden, oder ein unglücklicher Stoß brach dem Mann ein paar Rippen. Wie durch ein Wunder ward niemand lebensgefährlich verletzt. Aber gebrochene Knochen und böse Wunden, hervorgerufen durch herumwirbelnde Holzsplitter, und Prellungen trug ausnahmslos jeder Streiter davon.Wieder war der Ritter Franz vom Erlengrund Sieger über alle Herausforderer geblieben. Bis zum späten Abend stand er weiteren Streitern zur Verfügung. Zwei junge Knappen, die sich an dieser Stelle die Ritterschaft verdienen wollten, forderten den geübten Veteranen nacheinander heraus. Doch der Ritter stieß beide ohne Mühe aus dem Sattel. Einer der Knappen brach sich beim Sturz die Hand, und der andere Herausforderer renkte sich den Stoßarm aus, mit dem er die Lanze geführt hatte. Nach diesen beiden Kämpfen wollte niemand mehr den Ritter vom Erlengrund herausfordern. Als die Sonne unterging, war auch dieser Teil des Stechens zu Ende.
Gwyn besuchte den Kranken, sooft er die nächsten Tage von seinem Stand fortkonnte. Der junge Graf konnte schon wieder ohne Schmerzen atmen, und die Schwellung in seinem Gesicht ging ein wenig zurück. Sein Unterkiefer ward mit Binden notdürftig still gehalten. Die gebrochene Nase blieb schief, aber wenigstens konnte der Mann wieder durch sie atmen. Sprechen war ihm nicht möglich, und ein leichtes Fieber war noch immer in ihm. Aber er hatte bei einem Besuch Gwyns rechte Hand genommen und, so fest er konnte, gedrückt. Gwyn erwiderte diese Geste. Danach schlief der schwerverletzte Mann wieder sanft ein.
Am letzten Tag des Stechens war überall in der Stadt wie auch auf dem Turnierplatz bereits ein Aufbruch der ersten Besucher zu bemerken. Turnierkämpfer, die bereits ausgeschieden waren, ließen Zelt und Ausrüstung von ihren Knechten abbauen, Waffen und Gerät verstauen. Die ersten Ritter reisten heim.
Wie es die Tradition verlangte, sollten am letzten Tag die Bogenschützen wie auch die Lanzen- und Speerwerfer ihr Können zeigen. Zum Turnier der Bogenschützen wurde erwartungsgemäß erneut eine große Volksmenge erwartet. Alle wollten die teils legendären Schießkünste der Schützen beobachten.
Jochen versuchte, seit sie in Landshut waren, Gwyn zur Teilnahme zu bewegen. Wie es der Brauch verlangte, hatte auch der Augsburger Geselle während seiner Lehrzeit als Goldschmied das Bogenschießen erlernt.
»Freund Gwyn! Selbst wenn Ihr nicht schießen wollt, so macht mir doch die Freud und seid mir Gefährte auf dem Schützenanger. Hab ich als Faber doch das Recht, mich mit jedem Freien dort zu messen.«
Jochen sagte es jetzt eher beiläufig, so als wenn es ihm gleichgültig wäre, wenn er bei dem Wettkampf nur Zuschauer wäre. Gwyn übersah aber den schelmischen Blick des anderen keineswegs. Jochen, das wusste der Goldschmied nur zu gut, besaß einen guten Jagdbogen. Bereits all die Tage war er voller gespannter Begeisterung gewesen.
Gwyn zögerte noch immer. Seitdem er seine Heimat verlassen hatte, hatte er nur wenig trainiert.
»Nur reges Üben hält die Hand ruhig und schärft das Auge.«
Er erinnerte sich genau an Fallens Worte und wollte deshalb nur als Zuschauer bei dem Wettschießen dabei sein. Gemeinsam wanderten die beiden Faber an diesem frühen Nachmittag auf den Schützenanger, unweit der Stadtmauer, hinaus. Ihren Stand hatten sie bereits abgebrochen und ihre Ware einem befreundeten Händler zur Aufbewahrung gegeben. Viele Menschen aus der Stadt, aber auch aus der Umgebung waren gekommen. Einen spannenden Wettbewerb der Bogenschützen wollte sich kaum jemand entgehen lassen. Zumal das Volk hier Schießkunst von einer besonderen Güte zu sehen bekommen sollte. Ganz gewiss kein alltägliches Schauspiel.
Gwyn wurde von Jochens Optimismus und seiner Vorfreude immer mehr angesteckt. Sein Freund und Gefährte war ein leidlicher Schütze. Seine Kunst würde ausreichen, um einige Runden mitzuhalten.
Die Regeln waren einfach. Jeder Teilnehmer schoss einen Pfeil pro Runde auf eine Scheibe aus Stroh, welche in 30 Schritt
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