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Der Goldschmied

Der Goldschmied

Titel: Der Goldschmied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Mueller
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sah sich mit Cornelius van Brunschwigg in den Midlands. Sie zechten in der warmen Sonne, und Gwyn fühlte sich wohl …
    Die übrigen Reisenden waren damit beschäftigt, sich die Hände mit Stofffetzen zu umwickeln und in ihre Fellhandschuhe zu schlüpfen. Nur Augen und Nasenspitzen sahen aus den dick vermummten Gesichtern hervor.
    Dann brachen sie auf.
    Keiner der Reisenden sprach ein Wort, lediglich das Keuchen der atmenden Männer, das Knarren des Gepäcks der Maultiere und das Geräusch des Windes waren zu hören.
    So marschierten sie den ganzen Tag, nur kurze Augenblicke als Pause einlegend. Barnino, der Jüngste in der Gruppe der Kaufleute, klagte am Abend über seine Füße. Er berichtete, sie wären schon den ganzen Tag nicht warm geworden. Am Anfang hatten die Füße noch geschmerzt. Das Gesicht des Venezianers war übersät mit dunklen Flecken. Wangen und Kinn waren ihm gefroren. Hektor befahl ihm, die stoff- und fellumwickelten Stiefel auszuziehen. Dies tat der Junge nur mühsam und unter Schmerzen. Seine schmalen Füße waren weiß, als wären sie aus reinem Knochenbein. Jede Ader war zu sehen, einem feinen Gespinst ähnelnd, das sich unter der dünnen Haut äderte. Einige Stellen waren, ähnlich wie im Gesicht, dunkel gerötet. Hektor begann, die Füße des Jungen mit Schnee einzureiben. Dann knetete und massierte er sie. Aber Barnino wehrte ab. Es schmerzte ihn zu sehr, und er war müde. Er wollte nur schlafen.
    Hektor schnürte ihm die Beine mit großer Sorgfalt wieder ein.
    So verbrachten sie alle eine weitere Nacht hinter einer großen Schneewehe neben dem Weg.
    Am frühen Morgen marschierten sie weiter. Ihre Vorräte froren in der Kälte und wurden hart wie Stein. Wie Tiere nagten sie an ihren Speckstücken, bis es ihnen gelang, einen Bissen mit den Zähnen herunterzureißen und zu zerkauen. So dauerte ihr Frühstück mehr als eine Stunde.
    Aus dem steilen, oft verharschten Weg zwischen steinigem Geröll war nun ein riesiges, weißes Schneefeld geworden. Umgeben von hohen Bergwänden, deren Spitzen im dichten Dunst verborgen lagen, querten sie Hang für Hang. Hektor stapfte voraus. Der Schnee lag hoch. Mit seinem mannshohen Stock stocherte er vor jedem Schritt in die Schneedecke. Ihm folgte Gwyn. Er festigte den Pfad etwas, indem er schwere, feste Schritte machte, so gut es seine fellumschnürten Füße zuließen. Dann folgten die Kaufleute, die Maultiere hinter sich herziehend.
    Gwyn fror nicht wenig. Aber schlimmer empfand er das Rumoren in seinem Magen. Er war hungrig. Schließlich war er anderes Frühstück gewohnt. So aß er eine Handvoll Schnee. Dies reichte, um den knurrenden Magen für eine Zeitlang zu beruhigen. Der Nebel, der seit dem frühen Morgen über den Hängen lag, wurde von Schritt zu Schritt lichter. Es schien, als würde die Sonne mit dem Morgendunst wetteifern, als ob sie es nach Tagen doch noch schaffen könnte, ihre Strahlen bis auf die kleine Menschengruppe hinunterzuschicken. Spätestens dann würde sich die weite Schneelandschaft in kurzer Zeit in ein riesiges, hell gleißendes Tuch verwandeln. Vor diesem Moment hatte Hektor sie gewarnt. Ganz genau hatte er ihnen gezeigt, wie sie dann ihre leinenen Schals um die Augen wickeln müssten. Nur ein winziger Spalt nach unten auf den Boden dürfe übrig bleiben. Gerade so viel, dass die Augen der ausgetretenen Spur folgen konnten.
    Hektor, gewiss kein kleiner Mann, versank immer wieder bis zur Brust im Schnee. Jeder Schritt wurde mehr und mehr mühseliger. Gwyn glaubte, irgendwann vollständig zu versinken. Er dachte sich, wie angenehm dies sein müsste. Der dicke, weiche, flockige Schnee, wie eine feine Schlafdecke, ganz wie mit Gänsefedern gefüllt. Er würde sich ausstrecken und die Augen schließen und nur darauf hoffen, einen angenehmen Traum zu erleben, an den er sich erinnern könnte, sollte er je wieder erwachen …
    Die Venezianer beteten ununterbrochen. Sie murmelten ihre monotonen, endlos langen Agnus Dei wieder und wieder. Einige Male verstand Gwyn etwas Latein, dann wieder nur ihren Dialekt, den die Menschen in der Lagune sprachen. Dann wieder das Römisch-Lateinische, wie man es auch in Genua oder Rom verstand. Hektor sprach hingegen stundenlang kein einziges Wort. Aber unermüdlich drängte er seinen massigen Körper durch den tiefen Schnee. Gwyn schien es, als würde der Aufbruch aus der Burg im Tal längst eine Ewigkeit zurückliegen. Wirre Bilder kreisten durch seinen Kopf. Einmal sah er Sid, seinen Bruder,

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