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Der Goldschmied

Der Goldschmied

Titel: Der Goldschmied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Mueller
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oder Seldschuken verkauft wurden. Wem solches widerfuhr, der würde sein Heimatland kaum jemals wiedersehen.
    In der Festung wollten die Kaufleute und Gwyn auch nicht länger bleiben. Zu viel Menschen drängten sich bereits hier, alle aus Furcht vor der ungewissen Reise und dem nahenden Winter. Proviant für Menschen wie auch Tiere wurde mit jedem Tag knapper, und die Bewohner verteidigten bereits ihr Trinkwasser mit dem Schwert. Es war höchste Zeit, so bald wie möglich aufzubrechen, aber niemand wollte den Anfang machen.
    Noch immer wogen sie ein Für und Wider ihrer Weiterreise ab, aber ohne jeglichen Erfolg. Bis Hektor einen Vorschlag machte: »Hört, Ihr Herren. Es gibt wohl einen Weg. Er geht über den höchsten Gipfel des Schneegebirges. Dort, wo es nur Eis und Schnee gibt. Der Weg ist nicht sehr lang, aber voller Tücke. Wir werden alle Gottes Hilfe brauchen.«
    Nach diesen Worten bekreuzigte er sich und schwieg. Er überließ es der Reisegruppe, darüber zu entscheiden.
    Die venezianischen Kaufleute begannen sofort, den Vorschlag in ihrer schnellen, melodischen Sprache zu besprechen. Gwyn verstand zu wenig, um sich an der Unterredung zu beteiligen. Er folgte Hektor, der aufgestanden war und sich einen Weg durch die überfüllte Schenke gebahnt hatte. Draußen überprüfte der Mann die Stricke, mit denen die Maultiere für die Nacht angebunden waren.
    »Jener Weg, Hektor, sagt, ist er wirklich so schlimm?«
    Gwyn wandte den Kopf in die Richtung der Bergkette, die, kaum noch sichtbar, jetzt in der aufkommenden Nacht verschwand.
    Der Wegführer schwieg und rieb seine schwieligen Hände am Hals des Maultiers.
    Plötzlich wandte er sich um. Im schwachen Abendlicht konnte Gwyn das Gesicht des Mannes kaum erkennen.
    »Faber, es ist gefährlich! Werden den Zorn Gottes herausfordern. Man sagt, dass Hannibal, der große Feldherr, einst hier übers Gebirge zog. Tausende von Kriegern wurden verschlungen, von Schneelawinen und von Muren. Der Eiswind blies, bis ihre Leiber so kalt wie Schnee wurden. Und alle hatten die Blutkrankheit. Befällt jeden, der sich hinaufwagt in solche Höhe. Starben wie Fliegen an der Kälte, am Hunger. Man sagt, nachts kann man ihre Stimmen hören. Wie sie heulen vor Seelenpein, weil ihre Gebeine nie begraben wurden.«
    Gwyn spürte, wie es ihn nach dieser Erzählung ein wenig fröstelte.
    »Aber Hektor, sagt selbst, es war’n doch Heiden nur. Wir aber sind Christenmenschen. Solch eine Seele, und mag sie noch so unglücklich sein, vermag uns nicht zu schrecken. Dass die Reise wird beschwerlich, seh ich wohl. Dort oben ist die Grenze, nicht wahr? Die Pforten Gottes. Nennt man jenen Ort so …?«
    Hektor packte ihn bei diesen Worten plötzlich an den Schultern. Gwyn sah dessen Gesicht ganz deutlich, und erstaunt las er die Furcht darin.
    »Um Christi willen, Britannier, schweigt nun still. Es ist eine schwere Sünd, die Dreifaltigkeit Gottes so zu wünschen. Viele Seelen habe ich über die Berge geführt. Seid gewarnt, Faber. Ich führe Euch und Eure Gefährten, wenn Ihr es wollt. Aber an diesen Weg werdet Ihr denken, solange Ihr lebt. Seid gewarnt …«
    Er hatte die letzten Worte leise, aber erregt gesprochen. Nie zuvor hatte Gwyn den ruhigen Bergmenschen so aufgeregt gesehen. Obwohl dieser Mann diesen beschwerlichen Weg schon viele Male gegangen war, schien er nun voller Furcht. Gwyn spürte neben seiner Verwunderung plötzlich diese eigenartige Neugier. Nun wollte er es genau wissen, warum ein Mensch sich so fürchten konnte, dass er selbst im Glauben verzagen konnte.
    An diesem Abend einigte sich die Gruppe erst spät.
    Die Venezianer beschlossen, den kurzen, aber gefährlicheren Weg direkt über den Pass zu nehmen. Dafür würden sie Hektor jeder einen Batzen zusätzlich bezahlen. So viel hatte er verlangt. Gwyn schloss sich der Entscheidung an.
    Bald hatte sich ihr Entschluss in der Schenke herumgesprochen. Als die Menschen erfuhren, was die kleine Reisegruppe vorhatte, rückte man trotz der Enge und der Kälte von ihnen ab. An diesem Abend setzte sich ein neuer, aber unsichtbarer Reisegefährte zu ihnen: die Angst.
    Am nächsten Morgen weckte Hektor die Gruppe. Die Nacht war sehr kalt gewesen. Noch lagen die Hänge und die daran angrenzenden steilen Felswände in grauen Nebel gehüllt. Alles ringsumher, die niedrigen Hüttendächer, die Sträucher und Bäume wie auch die armseligen Stoffbahnen der im Freien hausenden Reisenden war mit einer Reifschicht bedeckt. Die Stimmen der

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