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Der Goldschmied

Der Goldschmied

Titel: Der Goldschmied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Mueller
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sie lange Streifen für einen Verband. Gwyn fischte seine Feinsäge aus dem Wasser. Mit dem Daumen fuhr er prüfend über die Zahnung. Das dünne Sägeblatt war aus fein gezwirbeltem Draht, tondiert, wie die Faber sagen. Mit gut tondierten Sägen konnte man sogar Steine schneiden. Gwyn begann plötzlich zu schwitzen. Mit einem Mal erschien jene schwüle Sommernacht auf dem Anger zu Landshut vor seinen Augen. Wie sehr wünschte er sich in diesem Augenblick den Leibmedicus des Grafen zu sich. War er doch ein erfahrener Mann in solchen Angelegenheiten.
    »Gebt ihm den Wein, hilft vielleicht, den Schmerz zu lindern. Ein wenig wohl …«, sagte Gwyn.
    Die Männer kauerten sich im Kreis um den Fieberkranken nieder. Sie ließen ihn trinken, bis er den Weinschlauch ausspie. Aus dem zweiten und letzten Schlauch nahm jeder einen tiefen Schluck.
    Barnino war längst wieder in jenen Fieberschlaf gefallen.
    »Bindet ihm seinen Schal als Knebel«, befahl Gwyn. »Sonst beißt er sich die Zunge ab vor lauter Schmerz.«
    Erneut bekreuzigten sich die Venezianer, aber sie taten, was Gwyn ihnen gesagt hatte. Den Oberschenkel band er selbst mit einem weiteren Schal ab. Hektor wickelte derweil das erfrorene Bein aus. Er tat es sehr langsam, fast vorsichtig. Es war grotesk, wie behutsam und vorsichtig der Mann die Binden entfernte. Von einem Bein, das schon tot war. Bei diesem Anblick hätte Gwyn für einen Moment fast laut gelacht.
    Hektor bettete den nackten Fuß in eine Mulde, die er aus dem Schnee am Boden geformt hatte. Sie hatten sonst kein weiteres Gefäß mehr. Wieder schloss Gwyn für einen Moment die Augen, wieder tauchten schreckliche Bilder aus dem Krieg um Bath vor ihm auf. Er schüttelte den Kopf, um diese Gedanken zu vertreiben. Als er die Augen wieder öffnete, sah er in Hektors schmutzig braunes Gesicht.
    »Ich halte sein Bein, Faber. Mehr kann ich nicht tun.«
    Gwyn spürte erneut die aufkommende Angst, die ihn kaum atmen ließ. Da begann er laut zu beten.
    »Vater im Himmel!
    Gerechter und einziger Gott,
    allmächtiger Herrscher von Himmel und von Erden.
    Sieh mich, Gwyn, deinen Knecht.
    Was ich tu, ist Sünde in deinen Augen, und doch tu ich’s um Barninos willen, einer guten Christenseele. Sei gnädig, Herr, lass meine Hände sicher sein, und gib jenem hier Kraft, solches zu ertragen, was ihm wird angetan von mir.
    Ich gelobe dir Dank bis in alle Ewigkeit, Amen!«
    »So sei es«, murmelten die übrigen Männer.
    Gwyn griff nach dem Ledersack, in dem das Wasser schon leicht brodelte. Die gegerbte Haut war angesengt. Es roch nach verbranntem Leder. Gwyn fischte mit einem langen Haken ein Messer aus dem Wasser. Hektor hatte den kranken Fuß am Schienbein gepackt und drückte ihn in die Schneemulde.
    Gwyn kauerte sich auf den Knien neben ihn. Er ergriff das Bein und setzte das Messer an. Zwei Fingerbreit über dem Knöchel zog Gwyn einen langen, tiefen Schnitt. Sofort floss Blut aus der Wunde und rann in dünnen Fäden in den weißen Schnee. Der Messerschnitt hatte eine feine Kerbe im Knochen hinterlassen. Gwyn warf das Messer neben sich und griff nach der Säge. Er setzte das Werkzeug an und begann, damit zu sägen. Die ersten Bewegungen machten ein hässlich knirschendes Geräusch.
    Hektor, der wohl die meiste Kraft von allen besaß, musste sich mit seinem ganzen, schweren Körper auf den Fuß des Verletzten stützen. Der Venezianer war aus seinem Fieberschlaf erwacht. Er keuchte und stöhnte und versuchte, sich aus dem Griff der Gefährten zu befreien. Der Schmerz schien stärker als das Fieber und die Ohnmacht.
    Tiefer und tiefer fraß sich die Säge durch den Knochen.
    »Oh, Madonna mia, Heilige Frau, bitt für uns …«, schluchzte Pietro.
    »Halt’s Maul und halt ihn«, fuhr Hektor den Mann an.
    Gwyn stand der Schweiß in großen Perlen auf der Stirn.
    Die Gebete der Männer wurden lauter und beschwörender. Hektor konnte den im Schmerz sich aufbäumenden Barnino kaum mehr halten.
    Gwyn sägte durch den Knochen. Immer tiefer fraß sich der feine dünne Draht durch die Wade. Außer dem monotonen Agnus Dei der betenden Männer war jetzt kein Laut zu hören. Endlich spürte der Goldschmied keinen Widerstand mehr. Der Fuß knickte ab, nur noch von der fahlen, blutlosen Haut und etwas Gewebe des Schenkels gehalten. Schnell schnitt er auch dies noch durch. Dann fiel das amputierte Glied mit einem dunklen Blutstrom in den Schnee. Aber noch war die schaurige Operation nicht zu Ende. Gwyn griff nach einem glühenden

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