Der Goldschmied
Holzscheit. Was er jetzt noch tun musste, hatten die Bader bei allen geschnittenen Gliedmaßen damals in Bath gemacht. Er hielt das brennende Ende gegen den Stumpf. Augenblicklich hörte der Blutstrom auf. Noch einmal bäumte sich der Kranke in seinem Schmerz auf. Dann verlor er endgültig das Bewusstsein.
Gwyn holte tief Luft.
Er roch den süßlichen Geruch frisch verbrannten Fleisches und spürte, wie sein Magen rebellierte. Schweißüberströmt und am ganzen Leib zitternd, kroch er auf Knien zur Seite. Dann erbrach er sich in den Schnee.
Ein stürmischer Wind fegte den Schnee wie Staub von den Berghöhen herab. Die abergläubischen Venezianer hatten sich noch einmal um das winzige Feuer geschart. Sie zitterten vor Kälte und murmelten ununterbrochen ihre Gebete. Hektor hatte den frisch operierten Mann mit Schnee bedeckt, bis nur noch ein kleines Atemloch übrig war. Darunter blieb er warm. Gwyn war erschöpft eingeschlafen. Auch ihn hatte Hektor vorsorglich mit einer dicken Lage Schnee bedeckt, nachdem er den Faber in eine Decke gewickelt hatte. Dann legten auch er und die Kaufleute sich zum Schlafen nieder, in der Hoffnung, eng aneinandergedrängt in dieser Nacht nicht zu erfrieren.
In der ersten Morgendämmerung brachen sie auf.
Es war genauso, wie es Hektor voausgesagt hatte: Ein endlos erscheinendes Schneefeld lag vor ihnen. Dies mussten sie überqueren. Die Oberfläche war durch den eisigen Wind der letzten Nacht hart gefroren. So war das Gehen leichter. Dafür wehte der Wind sehr heftig. Draußen, auf der ungeschützten Ebene, würden sie bald auskühlen. Barnino hatte die Nacht fiebernd, aber fest schlafend verbracht. Erst am Morgen erwachte er, weil er Schmerzen in seinen Zehen verspürte. Niemand wagte es ihm zu sagen, dass er keinen Fuß mehr hatte.
Sie hatten ihn in eine Decke gewickelt, um ihn hinter sich herzuziehen. Dabei lösten sie einander ab. Jeder Schritt kostete unendliche Überwindung und Kraft. An diesem Morgen brauchten sie ihre letzten Vorräte auf. Nun hatten sie nichts mehr. Die beiden erschöpften Maultiere fraßen das restliche Stroh, womit sich die Reisenden die Kleider ausgestopft hatten.
Hektor hatte ihnen genau beschrieben, dass sie den Hang nur überqueren konnten, wenn das Wetter es zuließ. Bei dichtem Nebel war dies zu gefährlich, dann würde er den Weg nicht finden. Er orientierte sich am Stand der Sonne und den markanten Formen der Berge ringsum.
Es war die achte Stunde an diesem Morgen, als sie am Fuße der riesigen Eisfläche standen. Der Anblick, der sich den Reisenden auftat, war von einer besonderen Schönheit: der endlos scheinende Gletscher, der sich sanft wölbte, wie der Rücken eines mächtigen, schlafenden Tieres. Im Licht der ersten zaghaften Sonnenstrahlen begann erneut das grausame Spiel mit den Augen. Die Eisfläche wurde nur durch einzelne Schmutzfurchen unterbrochen, die der Berg geformt hatte und die er wie ein Mal mit sich führte.
Die Männer banden sich erneut ihre Tücher vor die Gesichter. Gwyn hob sich den Venezianer auf den Rücken. Die Reisegefährten halfen ihm dabei, denn auf dem rissigen Eisgrund war ein Hinterdreinziehen nicht mehr möglich. Und Gwyn war nun an der Reihe, den Kranken für die nächste Stunde auf seinem Rücken zu tragen. Er schnaufte bei den ersten Schritten und war verwundert. Obwohl Barnino nicht sonderlich groß und dabei kaum schwerer war als er selbst, erschien ihm die Last, als trüge er Steine auf dem Rücken. Gwyn schauderte bei dem Gedanken, den Gefährten für die nächste Stunde über das glasige Eis zu schleppen. Sein Gepäck verteilte Hektor auf die beiden Maultiere. Obwohl die Bündel leicht waren, tat der Mann dies behutsam. Die Tiere hatten ein feines Gespür für jedes weitere Gran Gewicht. War ein bestimmtes Maß überschritten, würden sie sich weigern, auch nur einen Schritt weiterzugehen. Und ein störrisches Maultier kann einen Mann lange beschäftigen …
Nun begann der schwierigste Teil ihres Weges.
Hektor marschierte erneut voraus. Die übrigen Reisenden folgten ihm, immer in seiner Spur bleibend. Gwyn folgte als Letzter. Schritt für Schritt folgte er mit seiner Last hinterher. Die dünne Luft machte ihm das Atmen schwer. Nur durch den schmalen Schlitz, den der schützende Schal freiließ, konnte er die Spuren seiner Vordermänner erkennen. Ab und an vernahm er den Warnruf ihres Anführers, der vor dem tückischen Boden oder gar Spalten im Eis warnte.
Gwyns Atem ging von Schritt zu Schritt
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