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Der Goldschmied

Der Goldschmied

Titel: Der Goldschmied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Mueller
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immer schneller. Er ging mit stark gebeugtem Rücken. Seine Last wurde ihm immer schwerer. Aber er war froh, dass Barnino nicht klagte. Trotz der barbarischen Operation war der Venezianer still. Er dämmerte in seiner Decke zwischen Schlaf und Fieberträumen dahin.
    Bald gelangten sie alle an die erste Eisspalte. Sie war breit und tief. In seltsamen Farbtönen schillerten die rauhen Wände der Spalte und verloren sich schnell in finsterem Abgrund. Immer hinter Hektor bleibend, folgten sie der Spalte, in der Hoffnung, bald einen Übergang zu finden. Trotzdem marschierten sie eine ganze Weile, um den mächtigen Einschnitt zu umgehen.
    Manchmal dröhnte es ringsum in den Bergen, wenn eine Lawine ins Tal donnerte. Dann spürten sie alle ein feines Zittern unter ihren Füßen. Ein seltsam feines Schwingen, das erst leise und dann immer stärker anschwoll, bis man es im Kopf spüren konnte. Es war, als ob der Berg lebendig wäre und die kleine Menschenkarawane seine Ruhe störte.
    Von Zeit zu Zeit setzte Gwyn seine schwere Last vom Rücken ab. Dann beugte er sich über den Kranken und sprach ein paar beruhigende Worte. Meist hörte Barnino ihn nicht. Er schlief jetzt in einem tiefen Fieber, das ständig anstieg. In den wenigen Momenten, in denen er bei Bewusstsein war, griff er nach Gwyns Hand, so als hätte er Angst davor, dass ihn sein Gefährte in der kalten Bergeinsamkeit zurücklassen könnte. Mehr als einmal hatte Gwyn für einen Moment wirklich darüber nachgedacht, den Venezianer einfach liegenzulassen. Was ihn trieb, die schwere Last weiterzuschleppen, wusste er nicht. Aber bei jeder Rast dachte er erneut einen Moment lang darüber nach. Meist hielt Hektor an, um zu sehen, ob Gwyn noch Kraft hatte. Der winkte dann immer kurz, um zu zeigen, dass er nur seinem schmerzenden Rücken etwas Ruhe gönnen wollte. Unter Ächzen hob er seine Last erneut empor, taumelte ein paar kurze Schritte, bis er sein Gleichgewicht wiedergefunden hatte, und folgte dann der vorausziehenden Gruppe. Aber längst geriet jeder neue Anlauf schwerer und schwerer. Längst bereitete ihm jeder Schritt größte Anstrengung. Das erste Mal in seinem Leben fühlte Gwyn, dass er wohl nahe vor einem völligen Zusammenbruch stand.
    Er erkannte nicht mehr weit vor sich die dunkle, graue Felswand. Bis dorthin waren nur noch wenige Schritte zu tun, und er würde sich eine lange Rast gönnen. Vielleicht konnte man den Jungen ab dort wieder hinterherschleifen? Gwyn sah, wie Hektor ihm winkte. Er schien bereits einen windgeschützten Platz gefunden zu haben. Selbst die Maultiere trabten jetzt schneller und zogen die Venezianer fast hinter sich her.
    Da begann Barnino plötzlich laut zu schreien. Es war jedoch kein Schmerzensschrei. Eher der Laut eines Menschen angesichts höchster Todesangst. »Lauf, Inglese, lauf … er folgt uns, … o Madonna, lauf, lauf, lauf … er wird uns kriegen …!«
    Gwyn spürte, wie der schwerverletzte Mann sich auf seinem Rücken plötzlich aufbäumte. Er lüftete den Schal vor seinem Gesicht und sah sich nach allen Seiten um. Er konnte niemanden entdecken. Die Reisegefährten hatten sich nach den ersten Schreien umgedreht.
    Barnino erlebte eine furchtbare Todesangst. Mit unglaublicher Kraft schlug er jetzt um sich, verkrallte sich mit beiden Händen im Rücken des Goldschmiedes und trieb ihn mit der Ferse seines Beines an, als wäre Gwyn ein Reittier. Das Gebrüll des Jungen war dabei immer lauter geworden. Gwyn taumelte schwankend über das schrundige Eis. Er stolperte und fiel in die Knie. Hektor, der ihm entgegeneilte, konnte ihn nicht mehr auffangen. Gwyn fiel der Länge nach zu Boden. Der tobende Barnino rutschte herunter und blieb still liegen. Hektor kniete bei ihm nieder. Stöhnend rollte sich Gwyn herum. Er hatte sich die Knie auf dem Eis angeschlagen. Durch die strenge Kälte war der Schmerz beinahe unerträglich.
    Mit einem Ausdruck höchster Angst, die Hände in den Rand seiner Decke verkrallt, lag der junge Venezianer stumm auf dem Boden.
    Er war tot.
    Gwyn starrte ungläubig in das schmerzverzerrte Gesicht. Hektor zog den Schal über die aufgerissenen Augen des Toten. Dann stand er mühsam auf, blickte über das jetzt hell gleißende mittägliche Eisfeld des Gletschers.
    »Der Herr allein weiß, was er gesehen hat«, keuchte er leise. Er klang erschöpft.
    Die Kaufleute sahen auf den Toten, und in ihren Mienen lag die Furcht. »Es war Gevatter Tod! Er folgt uns«, sagte Zacharias düster.
    Stumm knieten die

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