Der Goldschmied
trafen sie bei Einbruch der Nacht auf eine menschliche Behausung. Es war nur eine Steinwand, aus Felsblöcken mannshoch aufgeschichtet. Die Seitenwände gingen in den grünen, sanft ansteigenden Berghang über, das Dach ward aus rohen Baumstämmen gedeckt und mit Felsbrocken beschwert. An der Rückseite war ein Kaminloch zu erkennen. Einige Schritte vor dem niedrigen Eingang blieb Hektor stehen.
»Holla, da drin! Zeigt Euch! Christenmenschen auf Wanderschaft begehren ein Nachtlager!«
Eine Weile geschah nichts. Gwyn dachte schon, dass dort niemand wohnte. Hektor aber blieb ungerührt stehen, als könne er durch die Felssteine der Mauer hindurchsehen. Er befolgte jedoch nur das Gesetz der Reisenden, das in diesen Tagen von allen Menschen respektiert wurde: Niemals darf jemand ohne Erlaubnis ein fremdes Haus oder Gemach betreten. In Britannien, aber auch in anderen Reichen, stand auf solch ein Vergehen der Tod. Nur nach einer Aufforderung durfte ein Ankömmling eintreten. Dies war eines jener alten römischen Gesetze, welche die Zeiten überdauert hatten.
Die rohe Türe öffnete sich plötzlich. Ein alter Mann stand dort, nur mittelgroß und sehr mager. Sein Haarschopf und selbst der Bart reichten ihm beinahe bis zu seinen Knien. Gwyn fror es unwillkürlich, als er sah, dass der Mann ansonsten völlig nackt war.
Der Alte besah sich die Ankömmlinge der Reihe nach aufmerksam. »Wos will der hier?«
Er deutete auf Gwyn, der seinen Bogen auf dem Rücken trug. Der Mann sprach ein hartes Deutsch, und Gwyn verstand ihn kaum.
Hektor beugte höflich den Kopf. »Kaufleute auf der Fahrt grüßen Euch. Seid nicht besorgt. Sein Bogen ist nur für die Jagd.«
Gwyn nickte kaum merklich und bemühte sich, ein freundliches Gesicht zu machen. Der Alte aber blickte jetzt erst recht misstrauisch.
»Welche Jagd? Tier oder Mensch?«
Hektor grunzte gutmütig. »Wildbret, Gevatter …«
»Still!«, schrie der Mann. »Viecher isst ma nit. Wos wollt ihr?«
Hektor bat im Namen aller um ein Nachtlager. Der Mann lauschte seinen Worten. Als Hektor mit seiner Erzählung fertig war, forderte der Alte sie mit einer kurzen Geste auf, einzutreten.
Gwyn spürte wohlig die so lange entbehrte Wärme, als er die Hütte betrat. Der Geruch nach Ziegenkot und ranzigem Fett vermengte sich mit dem dichten Qualm des Feuers derart, dass ihm die Augen zu tränen begannen. In einem Ledereimer schimmerte Milch. Bei diesem Anblick begann Gwyns Magen, laut zu knurren. Der Alte ging wortlos hin, tauchte eine hölzerne Kelle in den Eimer und reichte sie dem Goldschmied.
Gwyn nickte dankend und trank einen tiefen Schluck. Es war Ziegenmilch, und er hätte nicht geglaubt, welch köstlichen Geschmack sie haben konnte. Er reichte den Löffel an Hektor weiter. Der alte Mann hatte derweil eine weitere Schale gefüllt und reichte sie den Venezianern. Auch die begannen, gierig zu trinken.
»Seid von weit her, he?«, fragte der Mann und grinste.
Hektor deutete hinter sich. »Wir kommen übers Schneegebirge.«
Der Mann hörte dies, und sein Grinsen verschwand. Er kroch in eine Ecke der Hütte neben eine schwarze Ziege. Emsig begann er, das Tier zu melken. Die Reisenden hatten sich inzwischen auf dem Boden niedergelassen. Der Gestank war zwar streng, aber sie waren so erschöpft, so dass sich keiner weiter daran störte.
Gwyn bemerkte, dass der Einsiedler scheinbar nur von den kargen Erzeugnissen seiner Ziegen lebte, von denen wohl ein halbes Dutzend in der Hütte frei herumlief. Der Alte sah nicht so aus, als würde er von etwas anderem als der Ziegenmilch leben. Gwyn hatte von solchen Asketen gehört. Er konnte sich zwar nicht vorstellen, dass jemand in diesen Zeiten das karge Essen auch noch freiwillig einschränkte. Bei Master Borden und im Hause des Lambert hatte er gutes Essen schätzen gelernt. Seitdem war es eine Leidenschaft von ihm, raffiniert zubereitete Speisen zu kosten. Der Alte erschien ihm zudem nicht ganz geheuer. Aber er verstand sich auf die Gebote der Gastfreundschaft. Stumm bot er einen Laib schwarzes Brot und Butterstücke an. Dazu einen Käse, den er aus einem Loch aus der Wand hervorholte. Das Brot war aus Eicheln und Eckern grob gebacken. Gwyns Zähne mahlten beim ersten Bissen auf Sand.
Die Butter war ranzig. Aber es war Fett, das sie schon so lange entbehrt hatten. Nach anfänglichem Zögern gewöhnte sich Gwyn an den sauren Geschmack. Nur den Käse ließ er den anderen. Er kannte die schottischen Käse aus seiner Heimat. Allesamt
Weitere Kostenlose Bücher