Der Goldschmied
Oft waren die Ateliers und Läden kaum größer als einst die Werkstatt des Fallen in London. Aber was gab es hier alles zu sehen! Selbst die kleinsten Gewölbe geboten über ausgesuchte Stücke. Goldene Ringe und Halsketten in feinster Qualität, schwer und edel im Metall, fein in der Fertigung. Tafelgeschirr, wie er es seit Augsburg nicht mehr so prächtig gesehen hatte. Nur dass es hier feiner und raffinierter gearbeitet war, als er es je zuvor gesehen hatte. Erneut spürte Gwyn diesen eigenartigen Reiz, der von dieser Geschäftigkeit ringsum ausging.
Unweit dem Ende der Gasse lag das Zunfthaus der Faber. Auch hier wurde noch eifrig gebaut. Ein hölzernes Gerüst reichte bis an den Dachsims. Darauf bewegten sich wenigstens ein Dutzend Arbeiter, die in einem fröhlichen Durcheinander pfiffen, zotige Lieder sangen oder sich nicht minder zotige Bemerkungen zuriefen. Tagelöhner schleppten Ziegel auf kleinen Tragen über die schmalen Leitern hinauf. Knechte füllten Putz wie Teig in schwarze Körbe und hievten sie an langen Seilen zu den Arbeitern hinauf auf das Gerüst. Gwyn sah Marmor in schönen Farben, wie ihn bereits die Römer zu schätzten wussten. Die Venezianer verbauten enorme Mengen an feinem Holz, erhandelt in gewaltigen Mengen von der istrischen und dalmatinischen Küste. Kalksteine, ebenmäßig und glatt, jeder so groß wie eine Faust. Glatte Kiesel in allen Größen, welche die Lombarden mit Maultierkarawanen über viele Tagesreisen heranschafften. Pausenlos legten hier flache Kähne mit frisch geschnittenen Binsen an. Solche schnitten die Bewohner in den großen Lagunensümpfen ringsum selbst. Mannsdick war solch eine Fuhre. Ein Knecht konnte ein Bündel gerade umfassen. Für die Tagelöhner ein einträgliches Geschäft, sich solche Bündel auf den Rücken zu packen und damit gebückt zu den zahllosen Baustellen zu eilen. Bis zu drei Bündel konnte ein Mann gleichzeitig tragen. Aber Gwyn sah auch Männer, die sich fünf Bündel aufladen ließen und damit ihren Weg durch die engen Gassen der Stadt suchten.
»Permesso, amici!«, schrien sie.
Und jeder machte bereitwillig Platz, wenn die Binsenknechte kamen.
»Permesso, amici!«
Denn die Bauherren bezahlten die Binsenknechte nach Bündeln.
»Permesso, amici!«
Gwyn hatte Hunger. Seine Börse hatte auch schon lange kein »Futter« mehr bekommen. Es war an der Zeit, wieder als Faber zu arbeiten. In einer Pfütze prüfte er sein Spiegelbild. Er hatte ein wenig Fett eingebüßt. Dann betrat er das Ständehaus der Faber. Durch ein hohes Gewölbe schritt er vorbei an weiteren Handwerkern, die auf den Fußböden steinerne Muster verlegten.
So gelangte er in einen weiten Innenhof. Dort waren Handwerker dabei, frischen Kalk auf die Wände zu reiben. Dabei sangen sie einen schnellen, melodiösen Reim, mit einem jeweils neuen Schlussvers. Die Worte verstand Gwyn nicht. Es schien aber allen Anwesenden zu gefallen, denn nach jeder Strophe lachten alle laut. Dann fiel ein weiterer Sänger ein und sang die nächste Strophe.
Nur wenige Stunden dauerte es, bis er einen Freibrief in Händen hielt, der ihm die Erlaubnis gab, in der Stadt Venedig sein Handwerk auszuüben. Als Gebühr sollte er das Wappen der venezianischen Goldschmiede, den geflügelten Löwen, in eine Form stechen, in schwerem Gold gießen und der Bruderschaft abliefern. Dafür hatte er 25 Tage Zeit.
Es war wohl ungewöhnlich, wie einfach und ohne Umstände es ihm gelang, einen Platz und eine Genehmigung zur Arbeit als Goldschmied zu erhalten. Aber davon hatten ihm seine Reisegefährten schon erzählt: Die Republik Venedig wünschte sich Handwerker, die das Gerüst für eine gesunde und reiche Stadt waren.
Die Goldschmiede wie auch die Silberschmiede, die Zirkelstecher wie auch die Ausreiber arbeiteten alle an der Ruga degli Vivi. Da die Brandgefahr groß war, durften sie nur dort ihr Handwerk ausüben.
Gwyn gelang es, noch am selben Tag eine winzige Werkstatt zu mieten. Sie maß nur wenige Schritte in der Länge, und in der Ausdehnung war sie kaum breiter, als ein Mann liegen konnte. Die Decke war niedrig, und im hinteren Teil konnte höchstens noch ein Kind aufrecht stehen. Aber der Raum konnte mit zwei hölzernen Läden zur Gasse hin verschlossen werden. Außerdem gab es ein winziges Fenster zum Wasser hinaus an der rückseitigen Wand. Die Einrichtung bestand aus einem schweren Tisch, einem Brennofen und einer Steintruhe, die mit der Mauer verbaut und verputzt war. Dieser Raum war nicht zu
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