Der Goldschmied
kräftig und würzig. Dieser Käse hier war grau und so hart wie Stein. Der strenge Geruch, der von diesem Stück ausging, war ihm jedoch zu viel. Er schob seinen Bissen Hektor hin, der ihn gierig verschlang. Erst jetzt wurde Gwyn bewusst, wie ausgehungert sie alle waren. Eine weitere Nacht ohne Nahrung und ohne wärmendes Feuer hätten sie kaum überlebt. Nachdem die Venezianer die beiden Maultiere versorgt hatten, tranken sie jeder noch etwas klares Wasser. Dann rollten sie sich alle in einer Ecke zusammen und schliefen augenblicklich ein.
Gwyn war plötzlich erwacht. Irgendein Geräusch hatte ihn geweckt. Obwohl ihm von dem schweren Marsch alle Glieder schmerzten, hatten ihn die Wärme und der ungewohnt strenge Geruch nicht sehr tief schlafen lassen.
In der Hütte war es still. Nur das gleichmäßige Atmen der schlafenden Reisegefährten war zu hören. Manchmal rüttelte ein Windstoß am Dach. Im fahlen Licht beobachtete Gwyn, wie dann ein wenig Sand und Staub von der Decke rieselten. Am offenen Feuer saß der Alte. Er rührte in einem großen Topf, der über der Feuerstelle hing.
Gwyn stand auf und trat vorsichtig näher.
»Komm zu mir, Junker. Kannst doch nicht schlafen. Red, und dein Herz wird leichter. Dann wirst du träumen können.«
Der Eremit hatte zu ihm gesprochen, ohne den Kopf zu wenden. Er sprach jetzt auf einmal ein klares Englisch, wie es Gwyn lange nicht mehr gehört hatte. Seine Stimme war sanft, gar nicht mehr so unfreundlich wie bei ihrer Ankunft.
»Ihr sprecht ganz anders«, stellte der Faber in seiner Muttersprache überrascht fest.
Der Alte lächelte ihn an. »Vorsicht möcht ich’s nennen, junger Herr. Weiß ich, welch Volk Ihr seid?«
»Sehen wir aus wie Strauchdiebe oder Halsabschneider?«
Der alte Mann lachte leise und beugte sich ein wenig über den großen Topf, als wolle er darin irgendetwas Besonderes erspähen.
»Wie beides, junger Herr. Strauchdieb und Halsabschneider.«
Gwyn suchte nach einer Antwort. Er wollte den gastfreundlichen Mann vom Gegenteil überzeugen. Doch der winkte schnell ab.
»Zählt nicht, wie einer aussieht, zählt, was er ist. Gesinnung, versteht Ihr? Edel oder verschlagen. Menschenkinder können sich verstellen.«
Er rührte während seiner Erklärung gleichmäßig weiter in dem großen schwarzen Topf.
»Ihr kocht, seid Ihr nicht müde?«, wollte Gwyn wissen.
»Ich koche jetzt, wohl weil ich schlafe, wann’s mir genügt.«
»Verzeiht meine Neugier, aber wer seid Ihr? Warum lebt Ihr hier, so weit …«
Nun kicherte der Alte leise und gluckste dabei wie ein Kind.
»Menschenneugier. Alles wissen zu müssen, um es doch wieder zu vergessen. Nur Wissen um des Vergessens willen …!«
Gwyns Frage schien ihn zu amüsieren. Erneut kicherte er leise vor sich hin, so als ob er nicht mehr richtig bei Verstand wäre.
»He! Ich bin ich, nur ein Mensch. Ein Name ist hier nur Ballast. Wer sollt mich rufen? Mein Name kennt nur der Allmächtige. Ihm folge ich, wann immer er mich ruft. Ich lebe hier, weil’s ein Platz ist so gut wie jeder andere. Genügt Euch das?« Er drehte sich um und sah Gwyn ins Gesicht. »Der Knecht sagt, Ihr seid über den Berg gekommen.«
Gwyn nickte. Für einen Moment waren sie wieder da, die schrecklichen Bilder oben auf dem Gletscher. Die Erlebnisse dort oben würde er wohl sein Lebtag nicht vergessen.
»Lange Zeit lebe ich hier oben. Noch niemals traf ich Leut, welche zu dieser Zeit aus dem Welschland über den Berg gekommen.«
Der Goldschmied horchte neugierig auf. Vielleicht wusste der alte Mann etwas über die unheimlichen Geschehnisse dort auf dem Gletscher. Als ob er aufgefordert worden wäre zu erzählen, begann er zu berichten: von dem langen, mühsamen Marsch, der immer dünner werdenden Luft, der Kälte und dem tragischen Ende von Barnino, dem Reisegefährten. Während der ganzen Erzählung, bei der Gwyn halblaut flüsternd sprach, wandte der Mann nicht einmal den Kopf. Stumm rührte er weiter in seinem großen Eisenkessel. Gwyn war sich nicht sicher, ob der Einsiedler ihm auch zugehört hatte.
»Wen hat er gesehen? Ich hoffte, Ihr könntet es mir sagen«, fragte Gwyn.
Erst nach einer ganzen Weile drehte sich der Alte um. Langsam und mit feierlicher Stimme antwortete er: »Ihr wart an einer der Pforten des Himmels. Nie darf ein Menschenblick sie schauen. Der Allmächtige strafte Euch dafür.«
»Und wen sah Barnino dort …?«
Da begann der Alte zu erzählen: »Spina-de-Mul . Niemanden gibt es wohl hier, der
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