Der Goldschmied
ihn nicht fürchtet. Sei es der Edle, der Freie wie der Unfreie. Einerlei, das Alter und das Geschlecht. Und selbst Krieger, wohlgewappnet und mit feiner Rüstung angetan, versehen mit Schwert und Spieß, meiden eine Begegnung. Jeder, der ihm schon mal begegnet, sagt es gleich: Sah nie zuvor Scheußlicheres an Gestalt. Kopf, Hals und vorderes Geläuf sind wie ein Maultier. Der Rest von Leib und Bein ist wie vom Menschen, jedoch sind es bloß noch Knochen, die zu sehen sind. Als ob die Wölfe sich schon daran gütlich getan. Ruhelos zieht jenes Scheusal über die Berge. Wenn der Wind schweigt und auch sonst kein Laut, dann kann man Spina-de-Mul hören: wie seine Hufe und Beine über Fels und Eis schleifen. Das heisere Klagen und das laute Keuchen aus der Höllenbrust. Jeder, der dies hört, verbirgt sich gut, hoffend, dass ihm jenes Wesen nicht begegnet.
Trifft einer ihn doch, so nutzt ein Schwert nur wenig. Aus der Hand schlägt er’s dem Streiter, so als wär’s ein Nussstock. Und wirft der gar einen Speer, ist’s möglich, dass jener selbst den Schützen trifft und nicht das Wesen aus der Schattenwelt. Denn er ist unverwundbar, ist er doch ein Kind des Beelzebub und seiner Metze. Spina-de-Mul bewacht die Pforten zur Ewigkeit. Und jeder, der dies schaut, ist des Todes. Wohl war jenes Scheusal Euch gefolgt. Vielleicht sah es den Feuerschein in jener Nacht, vielleicht sah es Euch zu bei Eurem blutig Tun?
Ja, ich denke, so war es gewesen: Barnino sah Spina-de-Mul, sah eine der Pforten zur Ewigkeit. Dafür musste er sterben. So war es wohl.«
Gwyn hatte der Erzählung aufmerksam gelauscht. Es fröstelte ihn trotz der warmen Luft in diesem Raum.
»Verzeiht mir, Gevatter. Gibt es kein Mittel, jene Kreatur unschädlich zu machen?«
Der Alte kicherte leise vor sich hin. Er wandte seinen Kopf und sah Gwyn ins Gesicht.
»Ihr tragt den Bogen, und Ihr seid ein Meister mit jenem Holz. Der Schütze, der Spina-de-Mul das linke Auge herausschießt, kann jenes Ungeheuer töten. Aber die Kreatur erscheint nur des Nachts oder in der Helligkeit des Eises. Wer vermag da schon genau zu zielen? Ihr etwa, englischer Faber?«
Nach dieser Frage wandte er sich wieder seinem Eisentopf zu und sprach kein weiteres Wort.
Gwyn kroch unter seine warme Decke zurück. Seine linke Hand umschloss den Schaft seines Langbogens. Er hielt die Waffe die ganze Nacht mit seiner Hand umklammert.
Am Morgen war die Gruppe aufgebrochen. Die Nacht in der warmen und trockenen Hütte hatte allen einen ruhigen Schlaf beschert. Nun folgten sie einem schmalen Pfad, der die sanfter werdenden Hänge hinunter ins Tal führte. Als sie die ersten Waldschluchten mit ihren wild schäumenden Bachläufen erreichten, jubelten und schrien die Reisenden, als wären sie betrunken. Ein kleine Schenke, eng, aber einladend genug, wurde noch bewirtschaftet. Der Wirt und seine beiden Töchter waren gerade dabei, das Gebäude für den Winter zu verschließen und weiter hinunter ins Tal zu ziehen. Der Mann beäugte die kleine Reisegruppe misstrauisch. Dies rührte sicher von dem verwahrlosten Eindruck her, den die Venezianer, Gwyn und ihr Reiseführer machten. Die Gesichter fleckig vom Frost, bewachsen mit wilden Bärten, die Hände schmutzig, die Kleider längst nur noch Lumpen. Jeder der Männer stank dazu wie ein modriges Kellerloch. Der Wirt verkaufte ihnen die letzten Vorräte, die er besaß. Er war nicht überrascht, als Zacharias alles generös bezahlte, und nicht nur Gwyn überfraß sich an jenem Abend beinahe. Die Venezianer luden Hektor noch zu einem Umtrunk ein, den ihr Führer und Reisegefährte jedoch ablehnte.
Sie kannten sich in dieser Gegend aus, und die Dienste des Wegführers waren nicht mehr vonnöten. Alle bezahlten das vereinbarte Wegegeld an Hektor. Zacharias gab im Namen aller auch die volle Summe des verstorbenen Barnino weiter. So hatten sie es ausgemacht. Hektor dankte jedem der Männer mit einem langen Händedruck. Gwyn schloss der rauhe Knecht plötzlich in seine Arme und sagte nichts. Aber der Faber spürte, wie schwer dem Mann die Trennung fiel. Die heute bezahlte Summe und ein paar ersparte Batzen würden ausreichen, einen Hausstand zu gründen. Vielleicht konnte er etwas Land pachten. Und die beiden stillen Töchter des Wirtes waren keineswegs hässlich …
Die Venezianer und Gwyn brachen einige Zeit später auf. Der Goldschmied schloss sich ihnen an, hatten ihn die Kaufleute doch längst als einen der Ihren betrachtet. Sie hegten Respekt
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