Der Goldschmied
des Gepeinigten schwoll an, immer lauter und schriller, bis sie nicht mehr klang, als käme sie aus einem Menschenmund. Saulus verkrallte seine Hände im Ärmel des Priesters.
»Herr im Himmel, der Junge ist ohne Schuld! Haltet ein! Erspart ihm die Tortur.«
Der alte Mann begann zu schluchzen.
»Ich bitt Euch im Namen Jesu Christi …«
Fresenius beugte seinen Kopf erneut, und seine Stimme war kaum noch zu hören.
»Bruder Saulus. Bedenkt, das Böse, der Teufel selbst, ist in ihm. Geoffreys Hände berührten Seine Heiligkeit. Der Geweihte ist doch in ständiger Gefahr, solange sich Luzifer selbst in seine Nähe wagt. Nein, er muss heraus, heraus aus dem Leib dieses bedauernswerten Menschenkindes. Heraus, Saulus …«
Fresenius richtete sich auf. Die Schmerzensschreie waren verstummt. Der Junge war ohnmächtig geworden.
Der Inquisitor gab dem Knecht einen Wink. Der schöpfte eine Kelle voll kaltem Wasser. Damit erweckte er den Gepeinigten wieder aus seiner Bewusstlosigkeit.
Fresenius ließ Geoffrey Hubinet weiter foltern, mehr als eine Stunde lang. Saulus saß all die Zeit dabei und weinte wie ein Kind.
Dann ließ Fresenius auf einmal einhalten. Der Pockennarbige zog den Vorhang zu. Der Geruch nach heißem Eisen und verbranntem Fleisch hing in der Luft.
Saulus war in ein dumpfes Schweigen verfallen. Nur ab und zu schüttelte sich sein Körper. Dabei zitterte er heftig, als ob er ein schweres Fieber hätte. Die Pein des Gefolterten und die mit angesehene Tortur hatten sein einfaches Gemüt tief getroffen. Fresenius hielt ihm einen Becher Wasser hin. »Ihr müsst trinken, lieber Bruder.« Fresenius sagte es sanft, aber dabei so bestimmt, dass Saulus den Becher nahm und trank.
»Geoffrey! Was wird aus Geoffrey?« In Saulus’ Stimme war kein Ton.
»Die Tortur wird enden, wenn er gesteht«, sagte Fresenius kalt.
Saulus schluchzte auf.
Fresenius führte ihn zur Türe. Als er ihm fürsorglich seinen Arm um die Schulter legte, schüttelte Saulus sich los.
Von diesem Tag an begegnete Bruder Saulus dem Inquisitor mit Abscheu. Seine Ausstrahlung und seine scheinbar unumschränkte Allmacht innerhalb der Mauern von Avignon ließen Fresenius van Straaten für den einfachen Mönch zudem zu einer unheilvollen Gestalt werden.
Bereits drei Tage später suchte ihn van Straaten erneut auf. Beim Anblick des »Ketzerjägers« begann er erneut, unwillkürlich zu zittern, so heftig, als wäre ihm kalt. Fresenius bemerkte dies, sagte aber nichts. Er hielt eine kleine schwarze Dose in der Hand.
»Lieber Bruder. Achtet genau, was ich Euch sagen will.«
Saulus blieb in gehörigem Abstand vor dem Gesandten stehen. Fresenius hatte die kleine Dose geöffnet. Darin befand sich ein weißes Pulver.
»Bruder Saulus, Diener und Vertrauer unseres Herrn, Seiner Heiligkeit. Seht her, dies ist eine Medizin. Ein Tränklein, welches ich erstanden von einem weisen Medicus. Seiner Heiligkeit ist oft nicht wohl. Der dauernde Aderlass reinigt sein Blut, schwächt aber das Fleisch und sein großes Herz. Dies Pulver hier reinigt seinen Leib und stärkt die Sehkraft beider Augen.«
Saulus starrte nur verständnislos auf die Dose in der Hand des Wallonen.
Fresenius van Straaten trat näher auf ihn zu. »Seht her. Gerade so viel, dass Ihr das Pulver sehen könnt, ist genug für einen heilend Trunk. Wann immer Seine Heiligkeit isst oder trinkt, gebt Ihr davon ein wenig hinzu. Es schmeckt, als wär’s ein Mehl, woraus das Brot gemacht, das er so liebt. Aber es tut dem Leibe gut. Seine Haut wird so rein wie von einer Jungfrau. Keine bösen Winde werden ihn mehr länger plagen. Es ist, als wär er wieder jung. Habt Ihr verstanden, was ich Euch gesagt?«
Saulus nickte verwirrt mit dem Kopf. »Was, wenn mich der Herr fragt, was ich da tue …«
»Mein lieber Bruder, dies bleibt geheimes Zeugnis, gewahrt nur zwischen Euch und mir. Das Wohlergehen Seiner Heiligkeit ist unser Wunsch. Tut, wie ich Euch befahl, und zu keiner Seel ein Wort. Versprecht mir dies.«
Bruder Saulus zögerte. Nach allem, was er mit diesem Mann erlebt hatte, traute er ihm nicht mehr. So, als ob van Straaten die Gedanken des Mönches erraten konnte, sprach er langsam weiter.
»Geoffrey Hubinet! Wie es ihm geht, nicht wahr? Sind dies Eure Gedanken? Seid unbesorgt, er wird Buße tun. Die Tortur muss er nicht länger leiden. Aber tut Ihr mir dafür diesen Dienst …«
Saulus verstand. Er mochte diesen jungen, begabten Mönch, und nun bot sich eine Gelegenheit, ihn vor der
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