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Der Goldschmied

Der Goldschmied

Titel: Der Goldschmied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Mueller
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besonders schönen Pfeil. »Nehmt diesen hier, wohl meine beste Arbeit.«
    Gwyn ergriff das Holz und wog es prüfend in der Hand.
    »Was soll ich treffen?«, fragte er fröhlich.
    Fletcher sah sich um. Er deutete auf eine Hecke, die quer vor ihnen über die Wiese verlief. Wie ein sanftes grünes Band endete sie in einem Wäldchen. Direkt hinter der Hecke stand eine einzelne Buche mit einem glatten, hohen Stamm, ein besonders alter und mächtiger Baum.
    »Versucht, diesen Baum zu treffen!« Fletcher deutete in die Richtung. »Oder wollt Ihr Euch erst ein wenig einschießen?«
    Er grinste bei dieser Frage, und Gwyn konnte den gutgemeinten Spott wohl hören.
    »Wenn Ihr erlaubt, schieße ich eine Handbreit unter den ersten Ast des Baumes. Könnt Ihr dies sehen?«
    Gwyn hatte betont leidenschaftslos gefragt, obwohl er genau wusste, dass dies ein äußerst schwieriger Schuss sein würde. Fletcher schirmte seine Augen gegen das helle Sonnenlicht ab und starrte angestrengt auf den Punkt, den ihm Gwyn als Ziel vorgeschlagen hatte. Der Baum stand gut 150 Schritte entfernt.
    »Ich erkenne Baum und Ast. Aber aus der Entfernung ist’s wohl schwer, genau zu treffen.«
    Gwyn wusste, dass er jetzt etwas aufgeschnitten hatte. Fallen hatte mit ihm oft im Freien geübt. Aber die Abstände zwischen Schütze und Ziel waren zu jener Zeit viel geringer gewesen.
    Fletcher stellte sich neben Gwyn und verschränkte seine Arme.
    Gwyn hob den Bogen und legte den Pfeil an die Sehne. Er zog langsam und gleichmäßig, bis die Schnur seinen Nasenrücken berührte. Dabei visierte er sein Ziel an und kniff ein Auge zu. Es dauerte einen Moment, bis der Ast in der warmen, flimmernden Luft klar genug auszumachen war. Dort war das Ziel …
    Sag dem Pfeil,wohin er fliegen muss. Sag es ihm, ist das Holz voll eignem Willen. Lässt sich hier täuschen, spielt mit jedem Windhauch, lässt sich von seinem Blas liebkosen, berührt da gern ein Ästchen, dort ein Blatt. So vergisst der Pfeil Auftrag und Ziel .
    Gwyns Schusshand spreizte sich mit einer einzigen schnellen und gleichmäßigen Bewegung. Kaum merklich stieg der Pfeil in einer schrägen Bahn in die warme Luft empor. Er überflog die Hecke, schneller als ein Auge folgen kann. Dort im Schatten war die Luft etwas kühler. Es genügte, dem Geschoss etwas von seinem Auftrieb zu nehmen. Er sank, kaum drei Fingerbreit, der Erde entgegen. Noch immer war die Geschwindigkeit groß. Mit einem dumpfen Schlag fuhr die Spitze in den Buchenstamm. Erst jetzt kam das Holz abrupt zum Stehen, die restliche Kraft am Ende des Schaftes verzitternd.
    Gwyn und Fletcher mussten eine Stelle entlang der dichten Hecke suchen, durch die sie sich hindurchzwängen konnten.
    Zwei Fingerbreit stak der Pfeil im Holz. Gwyn sah es zufrieden, aber er schwieg. Fletcher blickte hinauf, bevor er den Schaft behutsam berührte. Erst dann streckte er sich und zog ihn vorsichtig aus dem Holz.
    »Nie sah ich einen solchen Schuss aus solcher Weite.«
    Gwyn spürte, wie er ein wenig verlegen wurde.
    »Ihr seid ein großer Schütze, Faber aurifex.«
    Gwyn verbeugte sich höflich bei diesem Kompliment.
    »Danke Euch, Master Fletcher. Ein Schuss ist immer nur so gut wie der Arm, der ihn führt. Der Arm aber gehorcht nur dem Auge. Jedoch sind Arm und Aug nutzlos, wenn Bogen und Pfeil nichts taugen. Dies sagte mein Lehrer, der selige Meister Fallen. Mein Bogen ist gut. Und dieser Pfeil ist ihm gleich. So ist es wohl ein Ganzes.«
    Fletcher drehte den Pfeil in seinen Händen.
    »Ich behalte ihn im Gedenken an einen Meisterschuss, und … als Beweis meiner Freundschaft, wenn Ihr mir dies erlaubt.«
    Gwyn nickte, und sie reichten einander feierlich die Hände. So schloss Gwyn, der Goldschmied, Freundschaft mit Fletcher, dem Pfeilmacher.
    Am nächsten Morgen reisten sie gemeinsam weiter. Sie folgten der Straße nach Bath. Von dieser alten Stadt, deren Lustbarkeiten schon die römischen Besatzer sehr zu schätzen wussten, vermochte ihnen Cornelius eine Menge zu erzählen. In den heißen Quellen, die aus dem Boden sprudelten, hatten sich bereits die wohlhabenden Latiner mit Wonne gebadet. Sie hatten Bath gegründet und prächtige Villen und Tempel gebaut. Davon war kaum mehr etwas übrig geblieben. Nach dem Abzug der Römer war Bath lange im Schatten der Städte London und Bristol gestanden. Aber nun erlebte die Stadt in den Midlands eine neue, große Zeit.
    Die drei Männer trafen immer häufiger auf Händler, die mit ihren Maultier- und Eselskarawanen

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