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Der Goldschmied

Der Goldschmied

Titel: Der Goldschmied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Mueller
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Rammen des Earls hatten ihre Spuren hinterlassen. Aber die Stadt hatte die letzten beiden schweren Angriffe abgewehrt. Gwyn beobachtete die dünnen Rauchsäulen der Wachfeuer unten zwischen den Feldern und Hügeln. Diese Feuer sah man seit Beginn des Krieges jede Nacht. Und jede Nacht war es, als rücke der helle Schein näher an die Stadt heran.
    »Habt acht, Faber!«
    Gwyn zog schnell den Kopf hinter die schützende Brustwehr.
    Neben ihm stand ein Stadtknecht, zerlumpt und furchtbar schmutzig.
    »Ich war in Gedanken«, entschuldigte sich Gwyn.
    »Sind Armbustschützen dort unten. Warten geduldig wie die Katze auf die Maus, diese Schufte. Wenn einer sich hier oben bewegt. Dann, beim heiligen Stefanus …«
    Der Mann schlug sich mit der flachen Hand gegen den Helm auf seinem Kopf. Dabei rollte er mit den Augen bei der Vorstellung, was einem unachtsamen Posten so alles widerfahren konnte.
    »Oder es trifft Euch ein Flugeisen und lässt den Schädel bersten, als wär’s ein Kürbis.« Er spie mit einem hässlichen Geräusch über die Brüstung. »Seid gewarnt, Faber!«
    »Ich werd’s mir merken, Gevatter«, antwortete Gwyn müde.
    Der Kriegsknecht nickte stumm und verschwand zwischen den Schlafenden. Erneut lugte Gwyn über die Mauer, diesmal schon bedeutend vorsichtiger. Der Morgenhimmel veränderte sich. Das erste Sonnenlicht zauberte auf das Land ringsum helle Flecken. Es sah aus, als schimmerten dort kleine Teiche aus Licht. Dunstschwaden stiegen zwischen den niedrigen Wäldchen und den sanften Hügeln auf und wurden vom Sonnenlicht allesamt gefärbt. Erst hell, fast durchsichtig, dann dunkler werdend, wenn das Licht Schatten malte. Bald ging von diesem Licht kein Leuchten mehr aus. Die Hecken, die Bäume und die Wiesen, das ganze Land rings um die eingeschlossene Stadt, waren matt und fahl, voll von Staub, den die Kämpfer und ihre Tiere seit Wochen aufwirbelten.
    Gwyn spürte, wie er müde wurde. Er war schläfrig. Doch dies war mehr als gefährlich. Schlafen konnte und durfte er erst nach seiner Ablösung. Erst vor einer Woche hatte der Magistrat der Stadt folgende Anordnung verkündet:
    »Höret, Bürger von Bath, freie Stadt und Hort der Zünfte! Wer Wache tut auf den Mauern, schützt die Stadt und alles Volk. Wer Wache tut und dabei Trunk und Spiel verfällt, wer schläft oder sich um die Pflicht zur Wache schwindelt, wird bestraft werden durch die Obrigkeit. Ausgepeitscht soll er werden.«
    Daran musste Gwyn denken. Erst gestern musste er solch eine Bestrafung mit ansehen. Zwei Knechte hatten einen großen Krug des streng rationierten Bieres gestohlen und sich bei ihrem Wachdienst betrunken. Sie wurden auf dem Marktplatz vor dem Stadthaus öffentlich ausgepeitscht. Beide starben wenige Stunden später an den schweren inneren Verletzungen, die ihnen von den Lederriemen zugefügt worden waren.
    Doch selbst solch drastische Strafen ließen die Verteidiger von Bath teilnahmslos geschehen. Die Menschen wollten nicht mehr. Sie waren Handwerker, Händler, Bauern, Bürger des niederen Adels. Ihr Tagwerk war nicht der Krieg und Kampf. Der Hunger ging um, denn längst hatte niemand mehr genug zu essen. Die letzten Vorräte waren fast aufgebraucht. Dazu kam die heimliche Angst vor der Pest. Keiner mochte das Böse beim Namen nennen. Niemand mit einem falschen Wort die Krankheit heraufbeschwören. Bois de Guilbert ließ die Stadt mit den abgeschlagenen Köpfen der Kriegsknechte beschießen. So manchen Verteidiger erschreckte dies zu Tode. Die Angreifer benutzten auch Pferdemist und Tierkadaver. Ihre Schleudermaschinen verschossen ganze Ladungen mit jenem faulen Inhalt. Zudem hatte de Guilbert alle Brunnen vergiften lassen. Jeder Wasserlauf, der unter der Erde in die Stadt floss, war davon betroffen. Bald quoll auch aus den wenigen Brunnenlöchern der faulige Gestank. Es fiel wohl immer wieder ein kurzer Regenschauer, doch reichte er nicht aus, den Durst der Belagerten zu löschen. Der Wassergraben als natürlicher Speicher war nicht mehr benutzbar. Seit zwei Wochen war er leer, das Wasser längst verdunstet und versickert. Nach den ersten Angriffen auf die Stadt war er noch voll Wasser gewesen, aber es schwammen viele Erschlagene darin herum. Es war müßig, sie mit langen Stangen und Schlingen mühsam zu bergen. In den ersten Wochen hatte man es noch getan, aber bald kümmerte sich niemand mehr darum. All die verwesenden Leiber erzeugten einen erbärmlichen Gestank, der durch die ganze Stadt zog. Gwyn nahm seinen

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