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Der Gott seiner Vaeter

Der Gott seiner Vaeter

Titel: Der Gott seiner Vaeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack London
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neugeborenes Kind oder ein altes, armes und schwaches Indianerweib, das dem Stamm zur Last fällt und für das es das beste wäre, zu sterben?«
    »Nein, so ging es nicht, denn die Not ist groß und erfordert große Opfer – er wählte keine geringere als die Tochter des Häuptlings, keine geringere als mich, Sipsu.«
    »Donnerwetter!« Das Wort kam ganz langsam über Hitchcocks Lippen, aber mit einer Fülle und Tiefe, die zeigte, wie erstaunt und bekümmert er war.
    »Und deshalb stehen wir jetzt, wo die Wege sich trennen, du und ich«, fuhr sie mit großer Ruhe fort, »und ich bin gekommen, daß wir uns noch einmal sehen können – zum letztenmal!«
    Sie war der Schößling eines primitiven Stammes. Ihre Traditionen und das Leben, das sie gelebt hatte, waren so primitiv, daß sie das ganze Dasein mit Stoizismus und Menschenopfer als etwas ganz Natürliches betrachtete. Die Mächte, die hinter Licht und Dunkelheit, hinter Regen und Frost, hinter dem Aufbrechen der Knospen und dem Welken der Blätter standen, waren beleidigt und mußten versöhnt werden. Und das Sühnopfer forderten sie auf vielerlei Weise – durch Tod in siedendem Wasser, durch die verräterische Eiskruste, durch die schweren Tatzen des Grizzlybären oder durch eine zehrende Krankheit, die einen Mann in seinem eigenen Zelt packte, bis er hustete und das Leben in seinen Lungen trocken durch Mund und Nase schwand. Und die Mächte nahmen die Sühnopfer an – das war alles ganz in der Ordnung. Und der Hexendoktor war mit den Gedanken der Mächte vertraut und traf seine Wahl mit unbeirrbarer Sicherheit. Es war ganz natürlich. Der Tod kam auf vielen Wegen, und doch war schließlich alles eins – eine Offenbarung des Allmächtigen und Unergründlichen.
    Hitchcock aber gehörte einem andern Geschlecht an, bezeichnete eine andere Stufe in der Entwicklung der Welt. Seine Traditionen waren weniger konkret und ohne Ehrfurcht, und er sagte: »Nein, das darf nicht geschehen, Sipsu. Du bist jung, und das Leben hat dir noch so viel Freude zu bieten. Der Hexendoktor ist ein Tor, und seine Wahl ist schlecht. Das darf nicht geschehen.«
    Sie lächelte: »Das Leben ist uns nicht gnädig aus vielen Gründen. Erstens hat es uns zwei, den einen weiß und den andern rot erschaffen, und das ist schlimm. Dann ließ es unsere Wege sich kreuzen, und jetzt trennt es sie wieder, und wir können nichts tun. Früher einmal, als die Götter zornig waren, kamen deine Brüder ins Lager. Es waren ihrer drei, große weiße Männer, und sie sagten – es darf nicht geschehen. Aber kurz darauf waren sie tot, und es geschah doch.«
    Hitchcock gab durch ein Nicken zu erkennen, daß er hörte und er wandte sich halb um und erhob die Stimme. »Hört nun her, Leute! Sie wollen drüben im Lager Dummheiten machen und Sipsu ermorden. Was sagt ihr dazu?«
    Wertz sah Hawes an, und Hawes beantwortete den Blick, aber keiner von ihnen sagte etwas. Sigmund beugte den Kopf und streichelte den Schäferhund, der zwischen seinen Knien stand. Er hatte Shep mitgebracht, als er kam, und legte großen Wert auf das Tier. In Wirklichkeit war es ein junges Weib, an das er immer dachte, und dessen Bild er in dem kleinen Medaillon auf der Brust trug. Sie hatte ihm den Hund und ihren Segen mitgegeben, als sie sich zum Abschied küßten, ehe er auf seine Nordlandsfahrt zog.
    »Was sagt ihr dazu?« wiederholte Hitchcock.
    »Vielleicht ist es nicht so ernst«, antwortete Hawes besonnen.
    »Es ist vermutlich nur eine Geschichte, die das Mädel uns erzählt.«
    »Darum handelt es sich nicht!« Hitchcock fühlte, wie eine heiße Zorneswoge in ihm aufstieg, als er ihren offenbaren Unwillen sah. »Die Frage ist, ob wir es uns, wenn es stimmt, gefallen lassen wollen? Was wollen wir tun?«
    »Ich kann keinen Anlaß für uns sehen, einzugreifen«, sagte Wertz. »Wenn es so ist, so ist es eben so, und damit ist die Geschichte aus. Das ist nun mal die Art dieser Menschen, es ist ihre Religion, und nicht unsere Sache. – Unsere Sache ist es, Goldstaub zu finden und dann aus diesem gottverlassenen Land herauszukommen. Hier können nur Tiere leben. Was sind die schwarzen Teufel anderes als Tiere? Und außerdem ist es eine verflucht schlechte Politik, sich in etwas zu mischen, das uns nichts angeht.«
    »Das ist es ja gerade, was ich sage«, fiel Hawes ihm ins Wort. »Wir sitzen hier vier Mann hoch, dreihundert Meilen vom Yukon oder von einem einzigen weißen Gesicht entfernt. Was können wir gegen fünfzig Indianer

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