Der Gott von Tarot
Großmutter liege im Sterben, daher bin ich sofort gefahren. Ich habe meiner Familie niemals abgeschworen; so ist der Heilige Orden der Vision nicht. Ich wünschte, meine Familie würde auch dazu gehören. Aber als ich dorthin kam …“
„Haben sie Sie geschnappt und in die Deprogrammierungsklinik geschleppt“, beendete Paul für sie den Satz.
„Ja, ich hätte es mir denken können, aber ich hätte es niemals für möglich gehalten, daß meine eigene Mutter …“ Traurig zuckte sie die Achseln. „Aber ich bin sicher, sie hat es für das richtige gehalten. Ich verzeihe ihr. Sie haben versucht, mir die Rückkehr auszureden, und als das nichts nützte, sagten sie, sie würden Mnem anwenden …“
„Mnem!“ rief er.
„Das ist eine Droge“, sagte sie, erkannte aber nicht den Charakter seines Ausrufes. „Sie setzen sie bei der Rehabilitation von unbelehrbaren Kriminellen ein. Man sollte es eigentlich bei …“ Sie brach ab.
Wieder erwachte Pauls Mißtrauen. Konnte das ein Zufall sein? Dieser Hinweis auf die Droge, die er schmuggelte? Oder war dies eine Polizeifalle? „Ich dachte, das sei illegal“, meinte er.
„Ja, generell schon, außer für die Rehabilitation von Kriminellen und einigen Geisteskrankheiten. Aber bei Mnem gibt es einen schwarzen Markt. So kostet es eine Menge, aber meine Leute haben das Geld aufgebracht.“
Das gefiel Paul alles ganz und gar nicht. Ein verführerisches, unschuldiges Mädchen in abgerissener Kleidung auf der Autobahn, um wurzellose Abenteurer wie ihn anzuziehen, die sich vielleicht den Lebensunterhalt durch Schmuggelei verdienten. So fing man eine Menge von Dummköpfen, dessen war er sicher. Und jetzt nannte sie das Kind sogar beim Namen, um vielleicht seine Reaktion zu testen. Es war nur allzu leicht, Geheimnisse zu verraten, wenn man von einem solchen Kaliber verwirrt wurde. Ihm schien es bereits, als kenne er sie länger, von anderen Orten her, mit einem anderen Namen – das ewige Geheimnis des Weiblichen. Vielleicht wollte er sie nur gekannt haben. Ihr Charme korrumpierte ihn bereits; diesen Mitfahrer mußte er so rasch wie möglich loswerden, ohne Mißtrauen zu erregen. Wenn es nur noch nicht zu spät war. „Welchen Weg geht es zu Ihrer … Station?“
„Im nächsten Staat. Noch etwa hundert Kilometer auf dieser Autobahn, ehe man abbiegt.“ Richtig. Sie mußte in der Lage sein zu bezeugen, daß er bereits eine Staatengrenze überquert hatte. Eine der Nettigkeiten der Gesetze. Die Polizei würde alle Leute auf Verdacht einfach exekutieren, wenn das Gesetz von ihr gemacht würde. Aber Amerika war noch kein totaler Polizeistaat.
Also mußte er handeln, ehe sie die Staatsgrenze erreichten. Er mußte aushalten, bis er wußte, was zu tun war. „Schön, für die hundert Kilometer Gesellschaft zu haben“, sagte er. Die Ironie war, daß es sogar gestimmt hätte, wenn sie nicht das Mnem erwähnt hätte. Was für ein Gesicht, was für ein Körper, was für eine einnehmende Schlichtheit sie an den Tag legte. Er war an andere Frauen gewöhnt und entdeckte nun, daß er sich in seinem Geschmack getäuscht hatte.
„Ich bin wirklich froh, Mr. Cenji. Als ich das mit dem Mnem erfuhr, habe ich bis zur Nacht gewartet und bin dann in meinem Nachthemd aus dem Fenster gestiegen, und hier bin ich nun. Das haben sie mir niemals zugetraut. Wenn Sie nicht angehalten hätten – wahrscheinlich geht schon die Fahndung nach mir los.“
Paul stellte den Audiotaster der Autobahn an. Wenn es eine Durchsage gab … aber das war vielleicht Teil des Polizeiplans und würde nichts bedeuten. Das beste wäre wohl, wenn er sie am Reden hielt, während er sich überlegte, was er mit ihr anstellen würde. „Ich dachte, die
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