Der Gott von Tarot
„Böcke!“ murmelte jemand bewundernd. Vor einem halben Jahrhundert war dieser Ausdruck traditionell gewesen; nun bezeichnete er ungewöhnliche Billigkeit, kaum den Preis des Schaumspritzers wert – was die Qualität des Scherzes verbesserte. Er hatte nun nach einem unsicheren Start seinen Weg gefunden.
Das Mädchen spürte den Hieb und wußte, daß es verwundet war. Vielleicht war sie wirklich das Kind einer Prostituierten. Diese Beleidigungen sollten eigentlich nicht der Wirklichkeit des Gegners entsprechen, aber wenn man dicht genug traf, daß eine Person die Haltung verlor, verlor sie auch den Wettbewerb. „Hau ab hier, du Siebenachtelschwein!“ schrie Karrie. „Geh zurück an die lilienweiße Fotze deiner Ma!“
„Hoho!“ rief jemand bewundernd. Karrie verlor den Boden unter den Füßen und schlug hart zurück, indem sie ein wunderbares Wortspiel mit seiner Siebenachtel-Abstammung machte und ihn einen Motherfucker nannte. Das grenzte an die schärfste Beleidigung, die man bei normalem Spielverlauf kaum übertreffen konnte, und in diesem Fall wußte er kaum eine Entgegnung. Sie konnte man kaum einen Motherfucker nennen. Nun merkte er, daß das Spiel gegen ihn lief; einige der Hauptbeleidigungen paßten einfach nicht auf Kinder oder Frauen. Karrie stellte ein verwirrend kleines Ziel für ihn dar.
Aber er hatte sich nun aufgewärmt und gab sich noch nicht geschlagen. „Meine Ma ist in Afrika, und ihre Fotze ist mir schnuppe; Und dich geht das gar nichts an, du miese schwarze Puppe.“
Kein Kommentar von der Galerie. Paul hatte sich geschickt verteidigt, sie aber nicht angegriffen. Er hatte die Initiative aus der Hand gegeben.
Karrie roch Sieg. Sie ging zum Todesstoß über. „Ihr Arsch, der ist in Afrika, und dort sorgt sie dafür, daß Papas Tripper wieder wird und er wieder bumsen kann.“
Was ihn zu einem Kind von Geschlechtskranken machte. Was hatte er darauf zu entgegnen?
Plötzlich kam er darauf: eine unschlagbare Andeutung, absolut ekelhaft: Verbindung mit Kot! „Als dein Pa deine Ma gefickt, da fand er nicht den Schlitz; er pißt ihr in den Arsch hinein, und raus kamst du, kackbraun wie ein Kitz.“ Ein Vierzeiler!
Karrie starrte ihn an, geschlagen, nicht zu einer Antwort fähig. Er hatte sie besiegt, hatte sie zu einem Produkt aus Urin und Kot gemacht. Aber es ertönte kein Applaus. Alle standen wie versteinert da.
Dann merkte er: Er hatte die Schimpfkanonade gewonnen, aber sein Ziel verfehlt. Denn dadurch hatte er alle Braunhäute zu Scheiße degradiert, Gelbe zu Urin und damit seine eigene nichtweiße Komponente beleidigt. In seinem Eifer zu gewinnen, hatte er den Zweck die Mittel heiligen lassen und so sein Ziel verfehlt. Nur eine weiße Seele konnte sich eine derartige Beleidigung ausdenken und aussprechen.
Wieder einmal hatte er nach der Rettung gegriffen – und in einen Kothaufen gegriffen.
Es schien nur einen Augenblick zu dauern, bevor es geschah. Er fand sich wieder auf der Straße und fragte sich, wohin er gehen konnte. Er wußte, daß Stunden vergangen waren, denn nun waren die Schatten länger geworden, und er war hungrig. Das Mnem verließ seinen Körper, und er besaß nichts, um es zu ersetzen. Langsam verließ ihn auch das Erinnerungsvermögen. Er mußte ohnmächtig gewesen sein; so wirkte die Droge. Manchmal schwand sein Gedächtnis merkbar dahin, manchmal schubweise.
Er roch Scheiße. Und er wußte es. Das war die Animation, die seinen inneren Wert enthüllen würde, die Quellen seiner Schmutzigkeit. Amaranth hatte die Rolle von Schwester Beth gespielt – aber diese Erinnerung war echt. Er hatte das unschuldige Mädchen umgebracht, vor zehn Jahren. Oder neun oder acht. Mnem hatte sein
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