Der Gott von Tarot
lernt.“
„Ohne Zweifel“, stimmte Bruder Paul ihr zu. „Doch die große Mehrheit der Emigranten war froh, es riskieren zu können … und die meisten scheinen schwimmen zu können.“
„Ja.“ Sie zuckte die Achseln. „Nicht der Weg, den ich gewählt hätte … aber diese Entscheidung habe ich auch nicht treffen müssen. Jedenfalls haben sich die Kolonisten niedergelassen … und dann begann der Spaß.“
„Weitere Tarot-Auferstehungen?“
„Nein, nicht nur das. Diese Animationen stammten aus dem Himmel wie aus der Hölle. Ich meine das Geschichtenbuch Perlenlüre, wo Engel vorbeifliegen und Harfenisten auf Wolken hocken. Oder andere Extreme … tiefe Höhlen, in denen rote, mehrschwänzige Teufel mit Gabeln saßen.“
„Offensichtlich bildgetreue Szenen religiöser Vorstellungen“, sagte Bruder Paul. „Viele Gläubige besitzen ein sehr materielles Bild vom Immateriellen.“
„Das stimmt. Auf dieser Kolonistenwelt scheint es eine ungewöhnliche Häufung von schismatischen Religionen zu geben. Aber es waren recht substantielle Vorstellungen.“ Sie zog eine Schreibtischschublade auf und zog einige Fotografien hervor. „Skeptiker haben für ein paar Aufnahmen gesorgt … und die haben wir hier.“ Sie breitete sie aus.
Erstaunt betrachtete er die Bilder. „Das war keine … äh … Trickphotographie? Sie sehen sehr authentisch aus!“
„Keine Trickaufnahmen. Noch etwas: Die Kolonisten haben ein planetarisches Orchester auf die Beine gestellt – bei einer zufällig zusammengewürfelten Million von Menschen gibt es viele Talente – und sie haben eine Menge halbklassischer Stücke eingeübt. Eines Tages haben sie ein Tongedicht von Saint-Saens, Danse Macabre, gespielt und …“
„Oh nein, nicht die tanzenden Skelette?“
„Doch. Das gesamte Orchester geriet in Panik, und bei dem Aufruhr wurden zwei Musiker zu Tode getrampelt. Ich glaube, man hat danach das Orchester aufgelöst, und es ist niemals wieder zusammengetreten. Aber als kühlere Köpfe eine Untersuchung anstellten, haben sie keine Spuren von wandelnden Skeletten gefunden.“
„Ich beginne zu verstehen“, sagte Bruder Paul und verspürte ein unheiliges Gefühl der Herausforderung. „Der Planet Tarot wird von Geistern heimgesucht.“
„So kann man es auch nennen“, stimmte sie zu. „Wir betrachten es als ernsteres Problem.“ Sie wartete, bis seine Miene einen angemessen seriösen Ausdruck annahm. „Die meisten Geister lassen sich nicht auf Zelluloid bannen.“ Sie zog eine Spule aus der Schublade.
Bruder Paul versuchte eine Doppelfrage: „Ein Film mit Skeletten?“
„Richtig. Ein Kolonist hat offensichtlich das Konzert filmen wollen. Er dachte, die Skelette gehörten zu der Schau dazu – bis der Aufruhr ausbrach.“
„Das würde ich gerne sehen!“
„Das wirst du auch.“ Die Priesterin stellte einen kleinen Projektor auf, knipste die Lampe an und bediente den Hebel. Auf der Wand gegenüber dem Schreibtisch begannen Bilder zu tanzen.
Es war in der Tat ein Todestanz. Zunächst sah man nur die Musiker, die auf ihren groben, selbstgefertigten Geigen spielten. Dann sprangen die Skelette auf die Bühne und bewegten sich im Takt zur Musik. Man hörte natürlich nichts, das konnte ein Projektor mit Lampe und Handkurbel nicht leisten. Aber Bruder Paul sah, wie die Musiker nach Luft schnappten, sah die Bewegungen der Hände auf den Instrumenten und die Handbewegungen des Dirigenten; der Takt war eindeutig.
Ein Skelett glitt dicht vor der Kamera entlang. Der magere weiße Brustkorb verdeckte einen Augenblick lang das Orchester. Bruder Paul blickte genau hin und versuchte
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