Der Gott von Tarot
Inkarnation der babylonischen Hure, Epitheton für die römisch-katholische Kirche. Ein derartiger Gedanke war in Gegenwart der Oberpriesterin Mutter Maria, die absolut keusch lebte, einfach skandalös. Es sei denn, sie hatte ihn hergerufen, um ihn … Nein, das war unmöglich! Eine völlig unwürdige Vorstellung, für die er die Selbstkasteiung verdiente.
Die Karte war das Keulen-As, das Bild einer aus Wolken auftauchenden Hand mit einer Keule.
„Erstaunlich“, bemerkte die Oberin. „Das bedeutet den Beginn eines neuen, großen Abenteuers.“
Ein großes neues Abenteuer? Mit ihr? Er versuchte angestrengt, diese Gedanken zu unterdrücken, so teuflisch verlockend sie auch waren. In diesem Augenblick wünschte er sich, sie wäre achtzig Jahre alt und hätte eine riesige, behaarte Warze auf der Nase. Dann würden sich seine Gedanken schon fügen. „Nun, ich muß erklären …“
„Decken wir die zweite auf.“ Sie legte eine zweite Karte von oben ab. Jetzt war ihr schon wohler zumute; die Karten halfen ihr, ihre Gefühle auszudrücken. „Diese soll dich kreuzen“, sagte sie und legte die Karte seitlich über die erste.
„Möge Gott Gnade mit mir haben“, dachte er inbrünstig.
Sie blickte verdutzt auf die zweite Karte. „Das Kelch-As!“
„Seht, ich …“ stammelte Bruder Paul.
Die Priesterin runzelte die Stirn. Sie gehörte zu den Frauen, die aufgeregt sogar noch süßer aussehen als vergnügt, wenn dies überhaupt noch möglich war. Stumm deckte sie die dritte Karte auf. Das Schwert-As. Dann die vierte: Münz-As. Bei jeder tauchte eine Hand aus Wolken auf und trug das entsprechende Symbol.
Sie hob den grüngrauen Blick und sah ihn vorwurfsvoll an. Bruder Paul erklärte lahm: „Ich … alte Gewohnheit … ich wollte Euch nicht in Verlegenheit bringen.“ Ohne Zweifel gab es in Dantes Inferno eine besondere Hölle für ihn!
Mutter Maria holte tief Luft, und dann lächelte sie – als brächen Sonnenstrahlen aus einem dunklen Himmel. „Ich habe vergessen, daß du einmal ein Kartenteufel warst.“ Sie blickte auf die vier Asse und zuckte zusammen. „Und bist es immer noch, wie es scheint.“
„Aufgegeben“, gab Paul zurück. „Und gebessert.“
„Das will ich hoffen.“ Sie nahm die Karten auf.
„Ich mische sie noch einmal, aber richtig“, bot er an.
Sie machte eine kurze, abwehrende Handbewegung. „Das Falsche lehrt das Richtige.“ Aber das Eis war gebrochen. „Paul, es spielt keine Rolle, wie du gemischt hast, so lange du die korrekte Frage formuliert hast.“
Aber natürlich hatte er sie nicht formuliert. Sein Kopf war voller Gedanken an die Karten, Päpstin Johanna und ähnliches gewesen. Sein Gesicht war wie eine Muschel, die die Katastrophe seiner Gedanken verbarg.
„Dann wirst du dich in der Tat zu einem bemerkenswerten neuen Abenteuer aufmachen – wenn du so willst.“
Und plötzlich merkte er, daß seine Strafe darin bestehen würde, diese Mission zu unternehmen, wie mühselig sie auch immer werden würde. Die schwindende Zivilisation heutzutage schuf eine Menge höchst unangenehmer Situationen. „Ich gehe hin, wohin ich gewiesen werde“, sagte Bruder Paul.
„Nicht dieses Mal. Ich kann dich nicht auf diesen besonderen Auftrag schicken, und der Orden kann es auch nicht. Du mußt dich freiwillig dafür melden. So wie ich dich kenne, wirst du das auch tun, und daher bin ich verantwortlich.“ Sie blickte zur Decke mit den groben Holzbalken. Sie verrichtete, das war ihm klar, ein kurzes, stilles Gebet. „Ich habe Angst um dich, Paul, und meine Seele leidet.“
Das ewig Weibliche! Eine Mission war durch die Hierarchie des Ordens auf sie zugekommen, und sie war aufgeregt, weil er sie vielleicht akzeptierte. Das war
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