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Der Gottbettler: Roman (German Edition)

Der Gottbettler: Roman (German Edition)

Titel: Der Gottbettler: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marcus Thurner
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ihr sogar dieses völlig absurde Seemannsgarn. Dabei war weithin bekannt, dass die Krötentreiber jene Passagiere, die sie nicht mochten, schlichtweg kielholten.
    Sie hielt die Nase weiter in den stürmischen Wind. Der »Boden« unter ihr schwankte. Die unruhigen Bewegungen deuteten die Geschwindigkeit an, mit der sie sich vorwärtsbewegten. Die Seekröte war gewiss schneller als der kühnste Segler der Cabrischen See. Sie brach immer wieder durch Gischtberge, durchstieß sie gleichmütig und ließ dabei von Zeit zu Zeit ihren Echsenkopf sehen. Im Maul trug sie eine Art Metallkandare, sicherlich so schwer wie ein Mann, und deren mächtige Haltetaue verschwanden links und rechts in Luken am Panzeransatz, dort, wo die Krötentreiber saßen und das Tier mit gewaltigem Körpereinsatz lenkten.
    Terca kroch tiefer in ihr Loch. Im Halbdunkeln machte sie einen Seemann aus, der in das traditionelle, weit gewebte Gewand seines Volks gekleidet war und den grünen Turban eines Treiber-Anwärters trug. Er trat sofort näher, nachdem er sie erblickt hatte, gebückt, den Panzer des Tiers nicht berührend. Seine Augen leuchteten in hellem Blau, wie selbst im Dämmerlicht hier unten zu erkennen war.
    »Wie weit ist es bis Griam, Anwärter?«, fragte sie.
    »Zwei Tage und zwei Nächte, Frau.«
    »So lange? Ich dachte, wir würden die Strecke wesentlich rascher bewältigen.«
    »Die Seekröte ist unruhig. Sie spürt Treibgierde. Wir müssen ihr womöglich ausweichen.«
    Treibgierde … Terca hatte davon gehört, aber nicht geglaubt, dass sie noch immer existierte. Nach all den Jahrhunderten … Sie nickte, nahm eine fein ziselierte Teetasse von dem Seemann in Empfang und entließ ihn dann mit dem rituellen Wink einer Hand.
    Sie nahm einen Schluck vom heißen und überraschend gut schmeckenden Getränk, bevor sie zu ihrem Aussichtsplatz zurückkehrte. Treibgierde. Seltsam. Sie hätte niemals geglaubt, dass sie irgendetwas in ihrem Leben noch überraschen könnte. Aber die Vorfreude auf ein ganz besonderes Schauspiel, auf dieses seltsame Phänomen, wurde mit jedem Atemzug größer.
    Der Seemann weckte Terca im Morgengrauen. Er rüttelte an ihrer Schulter, reichte ihr eine weitere Tasse Tee und machte sie darauf aufmerksam, dass es so weit war.
    Terca kam rasch auf die Beine. Die Sonne stieg eben rot leuchtend aus dem Meer. Sie suchte den Horizont ab. Die dunkelblauen Wassermassen, deren Wellen von Schaum gekrönt waren, reichten scheinbar bis in die Unendlichkeit. Wo war die Treibgierde? Wie groß war sie? Würden sie sie in ausreichend knappem Abstand passieren, sodass Terca Einzelheiten ausmachen konnte? Die Seeleute hatten ihr keine verbindliche Auskunft geben können, und sie hatte den Eindruck gehabt, dass selbst diese harten Burschen verunsichert waren. Kein Wunder angesichts dessen, was die Treibgierde eigentlich ausmachte.
    Sie drehte sich um – und erblickte sie. Im Süden. Nahe genug, um Details ausmachen zu können, und zu weit entfernt, um das Verlangen zu verspüren, sie betreten zu wollen.
    Der hässliche, verbeulte Schädel Rudynar Poles tauchte neben ihr auf. Er rieb sich die Augen und brummte etwas vor sich hin. Er hielt einen Stecken in der Hand, der etwa bis zu seiner Schulter reichte. Er bearbeitete ihn müde mit seinem Messer.
    »Wo ist Pirmen?«, fragte sie ihn.
    »Schläft. Er wollte nicht geweckt werden.«
    »Er sollte sich das hier ansehen. Es hat mit ihm und mit seinen Leuten zu tun.«
    »Aber auch mit dir und anderen Hexenweibern. Nicht wahr, Frau Terca?«
    »Ich war nicht daran beteiligt. Ich hätte einen derartig tiefen Eingriff in die Natur der Dinge niemals gebilligt.«
    »Spricht dich das etwa von aller Schuld frei? Wenn ich das richtig verstehe, hasst du die Magicae mit ähnlicher Inbrunst, wie sie dich und deinesgleichen hassen.«
    »Du hast recht.« Terca nickte. Sie tastete nach Herrn Rudynar Poles Verstand und dämpfte ihn ein klein wenig. Sie mochte es nicht, von ihm an den Konflikt zwischen magisch begabten Frauen und Männern erinnert zu werden, zumal sie selbst einen nicht unbedeutenden Anteil daran hatte. Damals, vor so langer Zeit …
    »Also, sag schon. Was ist die Treibgierde?« Rudynar Pole griff sich an beide Schläfen und schüttelte den Kopf, als könnte er greifen, was sie ihm in den Verstand gepflanzt hatte.
    »Magie«, antwortete Terca. »Magie, die feste Formen angenommen hat. Vor einigen hundert Jahren, als in der Cabrischen See eine von vielen sogenannten Entscheidungsschlachten

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