Der Gottbettler: Roman (German Edition)
zerfetzten Glieder, der Gestank, das Sterben … Tränen füllten seine Augen. Er war unendlich müde, wollte nur noch nach Hause, zurück nach Griam.
Und dennoch tat er, was ihm befohlen worden war. Er öffnete den metallenen Brustschutz und dann das Obergewand der Frau, zog ihr die Sandalen aus und schob ihr die Schützer von Armen und Beinen. Die Bekleidung war grau, schmutzig, schmierig. Sie stank nach einem Menschen, der seit Wochen keine Gelegenheit mehr gehabt hatte, sich zu waschen – oder es aus anderen Gründen nicht getan hatte. Dort, wo das Metall über die Haut gescheuert war, zeigte sich Schorf. Eine mit groben Stichen vernähte Verwundung war durch den Sturz aufgebrochen, und winzige Tierchen, Würmer und Maden, taten sich bereits am offenen Fleisch gütlich. Fette, grün schillernde Fliegen umkreisten die Tote.
Nun die Hose. Pirmen öffnete den mit einer einfachen Schnur fixierten Bund und zog ruckartig an den Beinen, sodass die Frau ein wenig tiefer rutschte …
… und laut schrie.
Sie richtete ihren Oberkörper auf, schlug wild um sich, kratzte und spuckte, saß mit weit aufgerissenen Augen da, verrückt und nicht mehr von dieser Welt, aber dennoch lebendig.
Pirmen wich zurück. Stolperte. Fiel auf seinen Hintern. Wollte wegkriechen von diesem Ding, dessen Existenz nicht sein durfte, das allen Lehren Hohn sprach. Die Frau schrie und schrie und schrie. Blutiger Speichel sprühte aus dem weit geöffneten Mund, und eine andere, dunklere Substanz, gefolgt von etwas, das womöglich ein Lebewesen war. Ein zuckender Klumpen mit haarigen Fühlern, die umhertasteten und sich irgendwo festklammern wollten.
Das Etwas kam ein wenig zur Ruhe. Es schob den unförmigen Körper hin und her, als suchte es ein Ziel – und fand es schließlich in Pirmen. Es kam auf ihn zu, während der Leib der Frau entseelt zurücksank. Es bewegte sich viel zu rasch, viel zu zielgerichtet. Der angehende Magicus wusste nicht, was er tun, wie er sich verhalten sollte. Kein Spruch und keine Abwehrbewegung wollten ihm einfallen, um etwas gegen diesen Gegner ausrichten zu können. Wie konnte er sich gegen einen Fleischklops verteidigen, der gerade mal so groß wie eine Faust war und mit atemberaubender Geschwindigkeit auf ihn zuraste? Pirmen kroch rücklings, dabei das Ding im Blick behaltend. Nun war er es, der schrie, die Hände weit von sich gestreckt, als könnte er diese Kreatur durch eine abwehrende Geste davon abhalten, über ihn herzufallen.
Es wuselte über den Boden, auf seine Beine zu, hielt kurz inne, als würde es Maß nahmen, und stieß sich dann ab. Es flog auf ihn zu, auf seinen Kopf, auf sein Gesicht, vorbei an den Armen, wollte offensichtlich an seinen Mund gelangen und mit den kräftigen Fühlern die Lippen auseinanderspreizen, die Zähne wegbrechen und durch den Schlund in sein Körperinneres vordringen …
Pirmen schloss die Augen. Er wartete auf das Unausweichliche. Auf etwas, das schlimmer als der Tod sein musste.
Doch es kam nicht. Stattdessen fühlte er einen leichten Windzug, eine Verwirbelung unmittelbar vor seinem Gesicht.
»Idiot!«, sagte jemand. »Bist du denn noch niemals dem Unleben begegnet? Weißt du nicht, wie du dich verhalten musst? Ich hab dir doch gesagt, wenn sie’s Maul aufmacht, gib Bescheid, dann erschlag ich sie noch mal.«
Pirmen blinzelte unter den Lidern hervor. Er sah den Fleischklumpen, leicht zuckend, aufgespießt von einer Schwertspitze, die sich für seinen Geschmack viel zu nahe an seinem Gesicht befand.
»Du musst das Unleben töten, sobald du es bemerkst. Wenn es ins Freie gelangt, ist es viel schwieriger, es zu besiegen.«
»Dafür habe ich ja dich«, wagte Pirmen mit zittriger Stimme zu entgegnen.
»Ich hatte Glück. Das Unleben war schwach und langsam. Offenbar fühlte es sich in der Frau nicht sonderlich wohl.« Der Hohe Herr schleuderte das Unleben beiseite, packte Pirmen und zog ihn hoch. »Und nun mach weiter. Zieh die Kleider an. Die Gefahr ist noch längst nicht vorüber.«
»Was war das?«, fragte er. »Warum nennst du es Unleben?«
»Da kämpfst du gegen den Gottbettler und weißt nicht, über welche Kräfte er gebietet, welche Mächte an seiner Seite stehen? Nein, du brauchst mir keine Antwort geben, ich seh’s an deinem blöden Gesicht, dass du keine Ahnung hast.« Der Hohe Herr schüttelte den Kopf. »Erledige deine Arbeit. Wir reden, sobald sich die Gelegenheit ergibt.«
Wieder tat Pirmen, was ihm Rudynar Pole befahl, und dachte nicht länger
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