Der Gottbettler: Roman (German Edition)
die letzten drei Winter in der Kälte der Norde zugebracht. Und was hast du für eine Ausrede für deine Ahnungslosigkeit?«
»Ich weiß bloß das, was mir mein Herr über ihn erzählte, doch dabei hatte ich das Gefühl, dass sich selbst er auf Gerüchte verlassen musste, obwohl er Informanten in allen zivilisierten Ländern hat.«
»Und aufgrund solcher Gerüchte schickte dieser Larex dich und andere Magicus-Lehrlinge aus, um nach mir zu suchen? Damit ich einen Jungen beschütze, von dem genauso wenig bekannt ist wie über den Gottbettler?« Herr Rudynar Pole schüttelte den Kopf. »Mir sind in meinem Leben schon viele Dummköpfe begegnet, kleiner Herr. Aber ihr Magicae übertrefft sie alle.«
»Ich wurde für dieses eine Ziel ausgebildet. Ich sollte dich finden. Larex nahm uns viele unserer Schwächen und forcierte unsere Stärken. Er sorgte sogar dafür, dass ich mich außerhalb der Magischen Türme Griams leidlich gut zurechtfinde, was für ein Mitglied unserer Sippe keine Selbstverständlichkeit ist. Leider ließ meine Ausbildung zum Magicus nicht viel Platz für anderen Unterricht. Die Zeit drängte, als ich mich vor einem halben Jahr auf den Weg machte.«
»Warum ausgerechnet jetzt? Der Gottbettler betreibt seine Eroberungsfeldzüge seit langer Zeit, und es wird noch eine Weile dauern, bis Metcairn den gesamten Weltenkreis für seinen Herrn gesichtet hat. Die Völker des Südens haben sich noch längst nicht ergeben, und auch die Norde ist noch lange nicht erobert.«
Pirmen zuckte mit den Schultern. »Es gehe nicht um die Größe des eingenommenen Gebietes, teilte mir Larex mit. Er meinte, dass bald eine kritische Masse erreicht sein würde. Die danach folgenden Geschehnisse wären unumkehrbar.«
»Ich verstehe kein Wort, kleiner Herr. Rede gefälligst so, dass auch ein einfacher Kerl wie ich es versteht.«
»Was soll ich dir sagen, Hoher Herr? Larex hat seine Geheimnisse stets vor mir verborgen gehalten, doch mehr schien er nicht über den Gottbettler zu wissen, und wenn doch, dann hat er es verschwiegen.« Pirmen lachte. »Ich erhielt einen Auftrag, und als ich Griam verließ, dachte ich nicht weiter darüber nach. Alles wirkte so einfach und klar. Ich hatte einen Mann zu finden und zum Oceanicum Griam zu bringen. Was weiter geschehen würde, interessierte mich nicht. Wie einfältig ich doch war …«
»Nicht einfältiger als all die Freiwilligen, die sich zum Heeresdienst melden.« Herr Rudynar Pole trat missmutig einen Stein beiseite. »Sie lassen sich von der vermeintlichen Aussicht auf Ruhm und Erfolg locken und meinen in ihren jungen Jahren, ganz allein die Welt auf ihren Schultern stemmen zu können. Diesen Glauben erhalten sie sich, bis sie dem ersten Mann im Kampf gegenübertreten und ihn, so sie Glück haben, auch besiegen. Dann kommt das Erwachen. Das Erschrecken, das Weinen, die Albträume. Der Selbsthass. Der Wunsch, nach Hause zurückzukehren und sich am Rockzipfel der Mutter auszuweinen. Man will niemals wieder zur Waffe greifen. Aber man muss, weil man sich dazu verpflichtet hat. Also macht man weiter, tötet den nächsten Gegner, dem wie einem selbst die Angst im Gesicht geschrieben steht. Dann noch einen und noch einen. So lange, bis es einen selbst erwischt oder man so gut als Schlächter geworden ist, dass einen der Tod eines anderen so wenig schert, als würde man eine Fliege mit der Hand erschlagen.« Rudynar Pole nickte sich selbst zu. »Ein solcher Kerl ist mindestens genauso dumm wie du, der du dem Befehl deines Lehrmeisters gehorchst. Nicht wahr?«
»J… ja.« Hatte der Hohe Herr etwa gerade einen Teil seiner Lebensgeschichte vor Pirmen ausgebreitet, oder kannte er das alles nur von Erzählungen aus den Schankstuben?
Wiederum wanderten sie schweigend weiter. Pirmen fühlte sich schrecklich müde. Die Feuchtigkeit kroch in sein Gewand, alles war klamm und steif. Liebend gern hätte er sich entlang des Weges ein Loch gegraben und hineingelegt, um all den neuen, verwirrenden Gedanken zu entgehen, die gemeinsam mit dem Hohen Herrn aufgetaucht waren.
Was war seine Rolle in diesem seltsamen Spiel? Warum hatte ausgerechnet er Rudynar Pole ausfindig gemacht? War es Bestimmung gewesen oder Zufall?
Er verachtete den Mann neben sich und fürchtete ihn gleichermaßen. Rudynar Pole stand für all das, was er an der Welt außerhalb der Magischen Türme Griams verabscheute. Es gab hier draußen weder Regeln noch Strukturen, auf die man sich verlassen konnte. Solange er allein
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