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Der Gottbettler: Roman (German Edition)

Der Gottbettler: Roman (German Edition)

Titel: Der Gottbettler: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marcus Thurner
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darüber nach, was eben geschehen war. Andernfalls wäre er wohl schreiend davongelaufen.
    Je näher sie der Grenzstadt Colean kamen, desto öfter trafen sie auf Söldner des Gottbettlers. Viele von ihnen trugen das Symbol der Silbernen Faust und gehörten zu den Rückraumtruppen des riesigen Heers. Die Eliteeinheiten, mit einem goldenen Symbol verziert, hatten dieses Gebiet vor einem halben Jahr erobert und waren dann Richtung Lirballem weitergezogen.
    »Wie man munkelt, haben sie ihre Aufgabe erledigt und sind längst wieder auf dem Weg Richtung Steilstädte«, erstattete Herr Rudynar Pole Bericht, nachdem er von einer Unterhaltung mit zwei altgedienten Söldnern zurückkehrte.
    »Und das Südliche Aenas?«, frage Pirmen. Sein Herz schlug heftig gegen seine Rippen. Es fiel ihm schwer zu glauben, dass sie mithilfe blutverschmierter Uniformen des Feindes und eines gefälschten Marschbefehls quer durch die eroberten Gebiete gelangen würden.
    »Du stammst aus den Marschlanden Aenas‘, nicht wahr? Wahrscheinlich aus dem Delta des Flusses Triba.«
    »Ich dachte, ich hätte meinen Dialekt längst abgelegt.« Pirmen zog den Kopf zwischen die Schultern. Der Hohe Herr zeigte immer wieder eine erstaunliche Scharfsinnigkeit. Der Säufer, der Süchtige, der unbeherrschte Schläger – das waren bloß Facetten einer rätselhaften Persönlichkeit. Besonders seltsam mutete jene Melancholie an, die Rudynar Pole von Zeit zu Zeit befiel und die ihn dann stundenlang schweigen ließ.
    »Ich bin weit herumgekommen«, sagte er. »Ich kenne viele Länder und die Angehörigen von noch mehr Völkern nördlich der Cabrischen See. Sogar besser, als ich es mir wünschen würde.« Der ehemalige Söldner lachte, doch es klang bitter. »Der Süden Aenas’ hat sich längst seinem neuen Herrscher ergeben. Metcairn Nife weiß ganz genau, was er den Bewohnern der eroberten Länder zumuten kann. Er lässt seine Leute eine Weile lang plündern, doch sobald sie sich ausgetobt haben, befiehlt er den Wiederaufbau, und jedermann hat mitzuhelfen, auch seine Soldaten. Sollte es dann noch gewalttätige Übergriffe auf die Einheimischen geben, werden die Übeltäter erbarmungslos verfolgt und hingerichtet. Er mag grausam sein, doch seine Vorstellung von Gerechtigkeit findet selbst bei seinen erbittertsten Feinden Achtung.«
    »Für meinen Geschmack hast du eine viel zu gute Meinung vom Stiefellecker des Gottbettlers.«
    »Er ist kein Stiefellecker!« Herr Rudynar Pole fuhr herum, ein Irrer mit rollenden Augen, stürzte auf Pirmen zu und packte ihn an den metallenen Bruststreifen. »Ich war nie mit dem einverstanden, was Metcairn Nife tat. Aber er trägt eine schlimmere Bürde, als sie je auf den Schultern eines Mannes ruhte, und er trägt sie mit schier übermenschlicher Kraft. Er ist … Ach, was soll’s!«
    Er stieß Pirmen zur Seite, in den Morast neben der Straße, und es dauerte eine Weile, bis dieser sich wieder so weit freigekämpft hatte, dass er Rudynar Pole hinterhereilen konnte, vorbei an weiteren Wachtposten, die ihn misstrauisch beäugten, aber vor allem die brav hinterdrein trabende Stellex mit begierigen Blicken bedachten. Pferde waren rar in diesem Teil der Norde.
    Pirmen passte sich dem Tempo des Hohen Herrn an, und schweigend stapften sie nebeneinanderher durch die öde Landschaft, jeder in seine Gedanken versunken. Das Land rings um sie war in farbloses Grau getaucht. Ab und zu ragten Giebel schäbiger Gehöfte aus dem Nebel, und einmal passierten sie ein Dorf, dessen Bewohner sich nirgends blicken ließen.
    Die Menschen dieses Teils des Landes hatten trotz des Wetters, mit dem sie zeit ihres Lebens zu kämpfen hatten, stets als freundlich und lebenslustig gegolten. Nun aber, da sie dem Gottbettler verpflichtet waren, ließen sie sich kaum noch auf den Straßen blicken. Sie kamen ihren Verpflichtungen nach, bestellten das Land und sorgten fürs Vieh, trieben Handel mit den Eroberern und ergaben sich augenscheinlich ihrem Schicksal als Besiegte. Doch sie hatten ihre Fröhlichkeit verloren, und mit ihnen hatte dieser Teil der Norde viel von seinem ursprünglichen Charakter verloren. Dies war, was die freien Länder mehr fürchteten als alles andere: das Grau, das alle Lebendigkeit vernichtete.
    »Erzähl mir mehr über den Gottbettler«, bat Pirmen, nachdem sie mithilfe ihrer Papiere eine weitere Straßensperre passiert hatten.
    »Diese Frage sollte ich eigentlich dir stellen.« Der Hohe Herr nahm einen Schluck vom Habanea. »Ich habe

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