Der Gottesschrein
Ich glaube fest daran, dass es das Reich geben wird, nach dem du dich sehnst. Den souveränen Staat Israel, der von einem jüdischen König regiert wird.
Nein, Yared, lass mich … Sei still, und lass mich ausreden! Ja, ich weiß, die Welt um uns herum ist ein Schlachtfeld, auf dem wir ums Überleben kämpfen. Aber der Kampf um die Freiheit ist es wert, den Tod auf sich zu nehmen. Ich kann mich glücklich schätzen, die Schlacht selbst wählen zu dürfen. Und den Mann, der mich führt. Wenn ich sterben sollte, dann … Yared, sieh mich bitte an! … dann tu mir den Gefallen und begrab mich hier in Jeruschalajim. Am Ziel meiner Hoffnungen und Träume. Denn von hier gehe ich nicht mehr fort.«
»Benyamin, um unserer Freundschaft willen bitte ich dich, verschwinde von hier! Ich habe keine Kinder, um die ich mich sorgen muss! Du schon.«
»Nein, Yared, um ebendieser Freundschaft willen bleibe ich bei …«
Benyamin verstummt erschrocken, als die Tür sich öffnet und Uthman unangekündigt mein Arbeitzimmer betritt.
»Yared, ich wollte …« Uthman sieht erst mich, dann Benyamin an. »Na, welche Verschwörung heckt ihr beide aus?«, stichelt er mit einem unergründlichen Lächeln.
Benyamin, der blass geworden ist, meidet den Blick zum Papyrus auf meinem Schreibtisch.
»Hat Jadiya eine Nachricht geschickt, wie es dem Sultan geht?«, frage ich.
Uthman schüttelt den Kopf. »In den letzten Stunden ist keine Taube aus Al-Kahira gekommen.«
Er winkt Alessandra herein, die draußen gewartet hat, und verabschiedet sich mit einem Nicken. Benyamin, der sich widerwillig seine Steinkugel umgehängt hat, folgt ihm und schließt leise die Tür hinter sich.
Sobald wir allein sind, nehme ich sie in meine Arme und küsse sie zärtlich. »Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht.«
»Zu Recht.« Sie lächelt, streicht mir über das Haar und erwidert meinen Kuss. »Wenn Uthman seinem Vater nicht auf den Thron von Ägypten nachfolgt, kann er sich mit meinen besten Empfehlungen in Rom als Inquisitor bewerben.«
»Was hast du ihm erzählt?«
»Dass wir uns auf dem Platz vor der Klagemauer kennengelernt haben, als du mit Arslan zum Haram ash-Sharif gegangen bist, um in der Al-Aqsa zu beten. Dass du Tayeb das Leben gerettet hast, als er von einem der Christusritter verwundet wurde. So wie wir es vorhin im verlassenen Kloster mit Arslan vereinbart haben.«
»Glaubst du, er ahnt etwas?«
»Warum sollte er?«
»Ich will dir wirklich keine Angst machen … aber das zerbrochene Templerschwert ist seit gestern verschwunden. Benyamin hat es in deinem Schlafzimmer gesucht, als du in der Grabeskirche warst, aber nicht gefun…«
»Sei unbesorgt, Yared«, beruhigt sie mich. »Es ist noch da, wo ich es versteckt habe.«
»Aber wo?«, frage ich verwirrt.
»In Tayebs Schlafgemach.«
»Benyamin und Arslan haben es dort gesucht.«
»Und Saphira hat es nicht gefunden, als sie gestern Abend Tayebs Bettwäsche wechseln ließ. Und auch du hast es nicht entdeckt, während du seine Wunden versorgt hast.«
»Wo ist es?«
»Tayeb liegt darauf.« Sie lächelt verschmitzt, als ich erleichtert aufseufze. »Vorhin hat er mir sein Leid geklagt. Er langweilt sich sehr und will das Bett so schnell wie möglich verlassen. Tayeb will sich den Papyrus ansehen.« Sie deutet auf die Schriftrolle, die ausgerollt auf meinem Schreibtisch liegt. »Hast du ihn gelesen?«
»Es ist die Baruch-Apokalypse aus der Peshitta – was Mar Abdul Masih in seinem Kommentar bestätigt.«
Sie setzt sich neben mich auf den Diwan und liest die Anmerkungen, in denen der Mönch den Inhalt der Baruch-Apokalypse zusammenfasst.
»Wieso schreibt Baruch nicht ›das Heer der Chaldäer‹, wenn er die Truppen beschreibt, die Jerusalem belagern, sondern ›das Heer des Chaldäers‹?«, rätselt sie. »Weil nur der Heerführer aus Babylon stammt, nicht aber seine Soldaten, die aus allen Teilen seines Reiches kommen? Wie merkwürdig …« Als sie die Pergamente zurück auf den Tisch legt, berührt ihre Hand mein Knie – nicht ganz unabsichtlich, wie ich vermute. »Mar Abdul Masih hat keine Vermutung geäußert, wann der Papyrus verfasst wurde?«
»Nein.«
Sorgfältig untersucht sie die Farbe, die Dicke und die Faserstruktur des Papyrus sowie die verblasste Tinte der aramäischen Schrift. Fast unmerklich schüttelt sie den Kopf, verreibt den Papyrus zwischen ihren Fingern und schnuppert daran. Kein Wunder, dass Papst Eugenius sie als Gelehrte schätzt – sie arbeitet geduldig,
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