Der Gottesschrein
entzündet ihn. Sobald sie die Kerze mit einigen Tropfen Wachs neben sich auf dem Felsen festgedrückt hat, reicht sie mir ihr Notizbuch mit der Karte der Templer. »Willst du die Schaufel mitnehmen?«
»Nein, ich lasse sie hier. Wenn der Gang eingestürzt ist, komme ich zurück.«
»Ist gut.«
»Leg dich hin, und ruh dich aus.«
Sie lacht freudlos und rafft ihr Gewand um sich.
»Pass auf dich auf!«
»Du auch.«
Ein letzter Kuss, dann verlasse ich die Höhle und wende mich nach Osten. Nach wenigen Schritten stoße ich auf eine Zisterne, die die Form eines lateinischen T hat und deren Gewölbe wie der Aufgang zur Grabkammer in der großen Pyramide von Gizeh geformt ist, die ich vor einigen Jahren erforscht habe. Grabräuber hatten einen Schacht durch die Steinlagen getrieben, den ich entlanggekrochen bin.
Wieder spüre ich das beklemmende Gefühl, das ich auch in der Grabkammer des Pharaos empfunden habe, und atme tief durch, um meinen Herzschlag zu beruhigen.
Die Zisterne ist fünfzehn Schritte lang und fünf Schritte breit. Wie tief sie ist, kann ich nicht erkennen, denn sie ist bis zu meinen Knien mit Wasser gefüllt, das so schlammig ist wie der Nil während der Flut. Die Zisterne ist eine Senkgrube, die das Wasser für die Riten des Tempels reinigen soll. Nur ›lebendiges Wasser‹, das rein und fließend ist, darf für die Liturgie verwendet werden.
Um auf die andere Seite der Zisterne zu gelangen, wo die Wasserleitung mit dem gereinigten Wasser weiter nach Osten führt, muss ich mit der Fackel in der Hand schwimmen. Schon will ich mich ins trübe Wasser gleiten lassen, als ich mit den Füßen eine schmale Brücke ertaste, die unter der Wasseroberfläche entlangführt.
Schritt für Schritt taste ich mich durch das knietiefe Wasser, das diesen steinernen Steg überspült. Schließlich betrete ich auf der anderen Seite der Zisterne wieder den Tunnel.
Zwanzig Schritte weiter, unterhalb des Brunnens des Kelches vor der Al-Aqsa, führen sieben Stufen zu einem trockenen Gang, der nach Norden in Richtung Felsendom führt. Ist das der Korridor, den die Templer in ihrer Schatzkarte beschrieben haben? Ist Tristão auf der Flucht vor Arslan vor vier Nächten diesen Gang entlang geflohen? Ich bin mir nicht sicher und folge der Wasserrinne, die zu der gewaltigen Zisterne führen muss, wo Alessandra die verschollene Tempelbibliothek entdeckt hat.
Da vorn ist noch ein Gang! Er führt nach Süden, vermutlich in die Gewölbe unter der Moschee, die die Templer als Lagerräume nutzten und die Sultan Salah ad-Din versiegeln ließ. Ich spähe in den Korridor und erkenne im diffusen Schein meiner Fackel eine Kreuzung mit einem Korridor, der von Osten nach Westen verläuft.
Ich kehre um, wate zurück zum Gang, der zum Felsendom führt, steige die Stufen hinauf und gehe vorsichtig weiter. Er macht einen leichten Bogen, sodass ich nicht erkennen kann, wohin er führt. Nach zwanzig Schritten stoße ich auf eine Kammer mit antiken Steinkrügen. Alle sind leer.
Nachdem ich noch drei weitere Kammern entdeckt habe, erreiche ich endlich die Zisterne, wo Tayeb Tristãos Sohn getötet hat. Sie ist gewaltig. Staunend blicke ich zur Decke empor, die durch das geschmolzene Gold wie ein Sternenhimmel funkelt. Ein faszinierender Anblick!
Ich folge dem Gang in Richtung Felsendom. Ein kühler Luftstrom weht mir entgegen, als ich nach links um die Ecke biege und die Halle der Cherubim betrete, deren Wände ganz schwach mit Palmetten- und Blütenornamenten und geflügelten Wesen bemalt sind.
Dort an der Wand entdecke ich das verblasste goldglänzende Bild, das mich vor vier Nächten in den Bann geschlagen hat – zwei Cherubim, die mit ausgebreiteten Schwingen die goldene Bundeslade bewachen.
Am Ende dieser Säulenhalle führen Stufen zu zwei Galerien. Ich steige zur rechten hinauf, doch sie endet nach wenigen Schritten in einem Haufen herabgefallener Quadersteine. Der Geruch von Staub hängt in der Luft. In diesem Gang hat Alessandra das zerbrochene Schwert gefunden. Ich ziehe ihr Notizbuch hervor und schlage die Karte auf. Kein Zweifel, hinter diesem eingestürzten Gang liegt der Schatz der Templer – wir werden graben müssen.
Mein Blick huscht hinauf zum geborstenen Gewölbe, auf dem die Plattform des Felsendoms ruht. Mehrere Quader hängen schief herab. Die morschen Holzbalken, die sie abstützen, sehen aus, als könnten sie jeden Augenblick zusammenbrechen. Mit der Klinge meines Dolches kratze ich einen Holzsplitter heraus
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