Der Gottesschrein
fasst sich in den Schritt. »Ich bring dich um!«, keucht er mit verzerrtem Gesicht und tastet im trüben Wasser nach meinem Dolch. Dann richtet er sich wieder auf. »Steh auf!«, befiehlt er barsch und atmet tief durch. »Keine plötzlichen Bewegungen. Kein Geschrei. Weder Yared noch Benyamin können dir helfen. Wenn du nicht genau das tust, was ich dir sage, töte ich dich. Verstanden?«
»Ja.«
Mühsam stehe ich auf.
»Du weißt, was ich will.«
»Die Bundeslade.«
»Wo ist sie?«
»Das weiß ich nicht«, lüge ich kaltblütig. »Yared hat mein Notizbuch mit der Schatzkarte der Templer mitgenommen.«
Verblüfft starrt er mich an. »Was für eine Schatzkarte?«
»In der Baruch-Apokalypse haben wir eine verborgene Botschaft der Templer entdeckt. Eine Beschreibung des Labyrinths. Tayeb hat den Weg zur Bundeslade in meine Skizze des Tempelbergs eingetragen.«
Er zögert.
»Kein Notizbuch – keine Lade«, verdeutliche ich.
Tristão stößt zornig einen Fluch aus.
»Was nun?«, frage ich herausfordernd.
»Eine kleine Planänderung.« Er richtet die Klinge seines Schwertes auf mich. »Du kommst mit!«
· Yared ·
Kapitel 70
Im Labyrinth des Tempelbergs
20. Dhu’l Hijja 848, 23. Nisan 5205
Osterdienstag, 30. März 1445
Kurz vor ein Uhr dreißig nachts
Der Mamelucke legt die Hand auf den Griff seines Schwertes und kommt direkt auf mich zu!
Leise husche ich die Treppe wieder hinunter in die Kammer, verberge mich in den Schatten und lausche den sich nähernden Schritten.
Der Mamelucke bleibt neben der geborstenen Marmorplatte stehen und wirft einen Blick hinab ins Labyrinth. Ich kann seinen Atem hören.
Ich taste nach dem Griff des Schwertes. Es widerstrebt mir, einen meiner Mamelucken zu töten. Aber wenn er …
Ein Knirschen hallt durch den Felsendom.
Ich halte die Luft an und horche angespannt.
Leise Schritte, die sich entfernen.
Wohin geht er? Dann höre ich, wie sich das Portal öffnet.
Nichts. Kein lauter Ruf, der die anderen alarmiert. Keine hastigen Schritte, die zum Felsendom stürmen.
Alles bleibt ruhig.
Aufatmend verlasse ich die Kammer, um so schnell wie möglich zu Alessandra zurückzukehren. Mir ist nicht wohl bei dem Gedanken, dass ich sie so lange warten lasse.
· Alessandra ·
Kapitel 71
Im Labyrinth des Tempelbergs
20. Dhu’l Hijja 848, 23. Nisan 5205
Osterdienstag, 30. März 1445
Kurz nach ein Uhr dreißig nachts
Tristão stößt mich vor sich her durch die Wasserrinne. Mit zwei Streifen Stoff aus dem Saum meines Gewandes hat Tristão mir die Augen verbunden und die Hände gefesselt. In welche Richtung wir uns bewegen, kann ich nur erahnen, denn vor dem Eingang der Höhle hat er mich so oft um mich selbst gedreht, dass mir schwindelig wurde und ich keine Orientierung mehr habe. Vermutlich gehen wir nach Westen, denn das Wasser des Aquädukts strömt mir entgegen.
»Nicht so langsam!«
Ein harter Stoß lässt mich straucheln. Mit einem erstickten Schrei stürze ich nach vorn ins knietiefe Wasser. Nur mit Mühe kann ich mich aufrichten. Plötzlich durchzuckt ein reißender Schmerz meine Brust. Haltlos sacke ich zurück ins Wasser, ringe nach Atem, schlucke Wasser und muss husten.
»Du verfluchtes Miststück!«, flucht Tristão wütend. Er packt mich am Arm und reißt mich hoch. »Steh auf! Na los!«
Schwankend komme ich wieder auf die Beine. Durch die schwarze Augenbinde kann ich das Licht der Fackel nur erahnen. Tristão hat sie in der Tasche gefunden, die wir in aller Eile in der Grabeskirche gepackt hatten. Meine Kerze habe ich rasch wieder in der Zunderdose an meinem Gürtel verstaut, bevor Tristão mir die Hände fesselte.
»Worauf wartest du? Weiter!« Er schiebt mich vorwärts.
In Gedanken zähle ich meine Schritte.
Als Tristão unvermittelt stehen bleibt, habe ich dreiundzwanzig Schritte gemacht. Er fasst mich an den Schultern und dreht mich mehrmals um mich selbst. Dann schiebt er mich einen Schritt zur Seite.
»Drei Stufen!«, warnt er und stößt mich grob hinauf.
Ich weiß jetzt, wo ich bin. Wir gehen nach Süden. Die Klagemauer ist nur wenige Ellen rechts von mir. Er treibt mich durch einen der beiden Wartungsgänge, die vom Aquädukt nach Norden und Süden abzweigen. Als Yared und ich vorhin den Tempelberg betraten, habe ich die Karte der Templer in meinem Notizbuch studiert. Ich ahne, wohin er mich bringen will. Und was er dort mit mir vorhat.
· Yared ·
Kapitel 72
Im Labyrinth des Tempelbergs
20. Dhu’l Hijja 848, 23. Nisan
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