Der Gottesschrein
liegt, will er den Thron von Ägypten besteigen. Die Mamelucken kennen keine dynastische Erbfolge und dulden keinen Sohn als Nachfolger des verstorbenen Sultans. Die Emire, die Befehlshaber, bilden eine Militäraristokratie, in die nur Mamelucken aufsteigen können, die als Ungläubige geboren, als Sklaven nach Ägypten verkauft, zum Islam bekehrt, im Kampf ausgebildet und schließlich freigelassen worden sind. Die Emire dieser elitären Herrscherkaste wählen ihren Sultan selbst – den Mächtigsten und Gewissenlosesten unter ihnen, der so umsichtig war, seine Gegner, deren Familien und Mameluckengefolge durch ein Massaker zu beseitigen.
Um seine Macht zu sichern, will der neue Sultan Uthman al-Mansur mich, seinen engen Freund und künftigen Schwager Yared al-Gharnati, zu seinem Wesir ernennen – sobald ich konvertiert bin.
Langsam und betont entspannt, für einen aufmerksamen Beobachter scheinbar in ein vertrauliches Gespräch vertieft, schlendern Uthman und ich die Stufen hinunter in den Empfangssaal des Vizekönigs von Jeruschalajim. Am Ende der Treppe bleiben wir stehen und sehen uns unauffällig um.
Die Wände des Saals, der kaum zwanzig Schritte lang ist, sind mit Koransprüchen auf Seidenbannern geschmückt. Tief atme ich den aphrodisierenden Duft nach Moschus und Rosenwasser ein – Tughan scheint meine Vorlieben genau zu kennen, nicht nur die für sinnliche Versuchungen wie Baklava oder einen berauschenden Wein von den Hängen des Karmel, dem ›Weinberg Gottes‹. Die jungen Mädchen, die mir während des Mahls aufwarteten, sollten gewiss meine Vorfreude auf erotische Stunden im Haschischrausch in meinem Bett wecken – und mich in Sicherheit wiegen.
Auf Kissen und Teppichen liegen die Mamelucken um niedrige Esstische herum und feiern. Die meisten sind sturzbetrunken, viele schlafen schon, einige torkeln mit dem Becher in der Hand umher. Zu den feurigen Rhythmen tscherkessischer Musik wirbeln halb nackte Mädchen zwischen den johlenden Betrunkenen hindurch, die sich bemühen, die goldbestickten Säume ihrer Gewänder zu erhaschen.
Keine zwei Schritte von mir entfernt hat einer der Kriegssklaven ein junges Mädchen auf sein Lager gezerrt. Er kniet zwischen ihren Schenkeln und nimmt Uthman und mich nicht wahr. Mit der einen Hand fährt er ihre Beine hinauf, mit der anderen fummelt er ungeduldig am Verschluss seiner Hose herum. Unter dem ausgelassenen Gejohle seiner Gefährten legt er sich zwischen ihre Schenkel und stößt lustvoll seufzend in sie hinein.
»Nun mach schon!«, drängt ihn einer seiner Freunde und fasst sich dabei an die harte Wölbung in seiner Hose. »Ich will sie auch.«
»Du wartest gefälligst, bis ich mit ihr fertig bin!«, lallt ein anderer und packt grob seinen Gefährten, der keuchend zusammensinkt, um ihn von dem Mädchen herunterzuzerren.
Am anderen Ende des Saals thront der Emir hinter einem durchscheinenden Vorhang auf einem Diwan neben Uthmans und meinem Ruhelager.
»Sei vorsichtig, Yared. Tughan kauft seine Mamelucken nicht wie du auf dem Sklavenmarkt in Al-Iskanderiya, sondern lässt sie in den tscherkessischen Dörfern im Kaukasus rekrutieren, ohne sie in der Zitadelle von Al-Kahira ausbilden zu lassen. Sie sind noch keine Muslime, sprechen nur Türkisch, und sie sind anscheinend noch nicht gezähmt«, raunt Uthman mir zu und weist verächtlich auf die völlig enthemmten Betrunkenen zu unseren Füßen. »Sie sind bewaffnet. Und erhitzt vom Wein. Wenn Tughan bedroht ist, und damit ihr eigenes Leben, wird es ein Massaker geben!«
Ich spanne die Schultern an. »Ich weiß.«
»Du solltest den Emir in deinem Arbeitszimmer empfangen, inmitten deines Gefolges und beschützt von deiner Leibwache, wie es deinem hohen Rang bei Hofe angemessen ist. Bekleidet mit dem Staatsgewand, das der Sultan dir geschenkt hat, und mit allen Insignien deiner Macht solltest du ihn in die Knie zwingen und …«
»Nein, Uthman, ich werde seine Intrigen gegen mich nicht länger dulden. Meine Geduld und meine Sanftmut sind endgültig erschöpft. Das Attentat auf mich kann ich ihm nicht vergeben. Ich werde hier mit ihm reden. Vor seinen Mamelucken.«
»Um Gottes willen, Yared! Du riskierst dein Le…«
»Das weiß ich. Wenn sie glauben, dass ich ihn ermordet habe, wird es zum Kampf kommen. Tughans Unterwerfung unter meine Autorität und sein demütiger Kniefall vor mir sind die einzige Möglichkeit, ein Blutvergießen zu vermeiden.«
Furchtbare Erinnerungen an das Massaker an meiner Familie
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