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Der Gottesschrein

Der Gottesschrein

Titel: Der Gottesschrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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Vertrauten erhebt sich langsam und tastet drohend nach seinem Dolch. Ich werfe ihm einen warnenden Blick zu, und er lässt die Hand wieder sinken.
    »Du bist blass, Tughan. Fühlst du dich nicht wohl?«, frage ich und sehe zu Arslan hinüber. Er nickt. Meine Mamelucken sind Herr der Lage. »Du solltest Jeruschalajim verlassen – zumindest solange ich hier bin«, rate ich Tughan. Der wagt es immer noch nicht, mir in die Augen zu sehen. »Eine bewaffnete Eskorte wird dich im Morgengrauen nach Jericho geleiten. Im Frühling, wenn die Mandelbäume blühen, soll es dort sehr schön sein.«
    Tughan blickt ungläubig auf.
    Sein Vertrauter zieht den Dolch und will sich auf mich stürzen. Doch Arslan ist schneller. Er wirft sich zwischen mich und den Attentäter, packt dessen Arm, reißt ihn herum, sodass der andere taumelt, und rammt dem Tscherkessen seinen eigenen Dolch in den Hals. Das Blut spritzt. Mit einem gurgelnden Röcheln sinkt Tughans Gefolgsmann in die Knie, kippt vornüber und bleibt liegen. Er ist tot.
    Schreiend vor Wut und Entsetzen springen Tughans Mamelucken auf und ziehen ihre Schwerter. Doch bevor ein Tumult ausbricht, der nur in Blutvergießen enden kann, greifen meine Mamelucken ein.
    Ich atme tief durch. Mein Herz rast, und meine Hände zittern.
    Schließlich fällt der Emir vor mir auf die Knie, berührt mit der Stirn den blutbespritzten Teppich und küsst den Saum meiner Djellabiya.
    Atemlos beobachten seine Mamelucken das Geschehen. Sie ahnen wohl, was eben auf dem Turm geschehen ist, und fürchten meine Rache. Kein Herrscher, der vernünftig handelt, lässt die Mamelucken seines Todfeindes leben, wenn er die Macht übernimmt. Die Regeln im Mameluckenreich sind denkbar einfach: Töte, um zu überleben! Und verschone niemanden, der Blutrache an dir nehmen könnte! Doch Tughans Geste der Unterwerfung ist so offenkundig, dass nur wenige seiner Offiziere ernsthaft Widerstand leisten, als sie von meinen Mamelucken entwaffnet werden.
    »Möge Allah dir Gerechtigkeit widerfahren lassen und dir Frieden schenken«, wünsche ich Tughan kühl. »Leb wohl!«
    Der Emir erhebt sich taumelnd, rafft mit zitternden Händen sein Gewand um sich und zieht sich hastig in seine Gemächer im Turm zurück. Auf meinen Wink folgen ihm ein paar meiner Männer. Sie sollen ihm beim Packen helfen.
    Uthman tritt neben mich. »Mit welch königlicher Geste du ihn in die Verbannung geschickt und die Macht übernommen hast! Ohne Blutvergießen! Siehst du die bestürzten Gesichter seiner Gefolgsleute? Damit haben sie nicht gerechnet!« Er lacht übermütig, als die Anspannung von ihm abfällt. »Unser Vater wird sich köstlich amüsieren, wenn ich ihm morgen mit einer Brieftaube die Nachricht übermittele, dass du dich heute Nacht selbst zum Vizekönig gemacht hast.« Mein Freund hüllt mich in eine herzliche Umarmung, küsst mich auf beide Wangen und flüstert gerührt: »Yared, mein Bruder, ich bin sehr glücklich, dass du dich nun endlich entschieden hast, zum Islam zu konvertieren!«

· Alessandra ·
Kapitel 5
    Im Labyrinth des Tempelbergs
    16. Dhu’l Hijja 848, 19. Nisan 5205
    Karfreitag, 26. März 1445
    Ein Uhr morgens

    »Der Gang endet in einer Zisterne!«, rufe ich Tayeb zu, der sich hinter mir durch den engen Felsspalt schiebt.
    »Alessandra, wie tief ist sie? Kannst du am Seil hinunterklettern, wenn ich dich sichere?«
    Ich rutsche ein kleines Stück vorwärts, halte die Fackel vor mich und blinzele in den Abgrund. »Nein, es ist zu tief – zwanzig Ellen glatter Fels. Und in diesem Gang gibt es keinen Vorsprung, an dem wir das Seil festbinden könnten.«
    »Und wenn ich es mir um die Schultern lege?«
    »Vergiss es! Ich würde dich mit in die Tiefe reißen. Ohne Seil können wir diese Felswand nicht wieder hinaufsteigen.«
    Tayeb schnauft. »Willst du umkehren?«
    »Noch gebe ich nicht auf. Wir sind fünfzig Schritte vorangekommen, ein Fünftel der Entfernung zum Felsendom.«
    »Was nun?«
    Ich blicke in die Tiefe. »Die Zisterne ist mit Wasser gefüllt. Wie tief es ist, kann ich nicht erkennen. Ich werde hinunterspringen und einen Gang suchen, der uns weiter nach Norden führt.«
    »Und wenn es keinen gibt?«
    »Die Zisternen sind miteinander verbunden. Es muss einen Zulauf geben.«
    »Und wenn er eingestürzt ist? Oder zugemauert wurde?«
    »Dann musst du mich am Seil wieder hochziehen.«
    Er antwortet nicht sofort.
    »Also gut«, brummt er schließlich und nimmt mir meine Fackel ab.
    Ich rutsche vorwärts, bis ich bis

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