Der Gottesschrein
Decke. Ich bin jetzt direkt unter dem Felsendom.
Hinter mir keucht der Mönchsritter die Treppe herauf – er ist schon ganz nah!
Wohin führen die Stufen? Ich haste hinauf und versuche mit beiden Händen, den schweren Schlussstein anzuheben. Vergeblich.
Mit aller Kraft drücke ich mit den Schultern gegen den Stein. Knirschend gibt er ein wenig nach. Staub rieselt auf mich herab. Noch einmal presse ich mit Gewalt nach oben. Mit dem lauten Krachen von Stein auf Fels ruckt die Deckplatte eine Handbreit. Meine Knie zittern. Meine Schultern beben. Ich keuche vor Anstrengung. Verzweifelt stemme ich mich ein letztes Mal gegen die Bodenplatte. Endlich richtet sie sich auf. Doch sie ist so schwer, dass ich sie nicht festhalten kann. Sie rutscht mir aus den Fingern, kracht mit einem ohrenbetäubenden Getöse auf den Marmorboden des Felsendoms und zerbricht.
Geschwind zwänge ich mich durch das enge Loch und klettere hinauf in eine Säulenhalle, die von Öllampen erleuchtet ist. Jetzt bin ich im Felsendom. Vor dem Felsen Morija.
Aufschluchzend vor Erleichterung schiebe ich die geborstene Marmorplatte zurück über die Öffnung – vielleicht verschafft mir das ein wenig Vorsprung. Keuchend ringe ich nach Atem.
Ich bin in Sicherheit – doch was ist mit Tayeb?
Plötzlich höre ich ein metallisches Geräusch hinter mir – als ob ein Dolch gezückt wird.
Und Schritte, die sich rasch nähern!
Allmächtiger Gott, noch ein Christusritter?
Erschrocken reiße ich das Templerschwert hoch …
· Yared ·
Kapitel 14
Im Felsendom
16. Dhu’l Hijja 848, 19. Nisan 5205
Karfreitag, 26. März 1445
Vier Uhr morgens
… dann stürzt sie sich mit einer zerbrochenen Klinge auf mich, um sich gegen mich zu wehren.
Mit einem zornigen Aufschrei wirft sich Arslan zwischen uns. Im Schein der Öllampen blitzt das Schwert, das er gegen sie erhebt, um mein Leben zu schützen.
Doch in ihren weit aufgerissenen Augen sehe ich weder Zorn noch Hass, sondern Todesangst. Wovor ist sie geflohen?
Flehend blickt sie mich an. Sie ringt nach Atem und bringt kaum mehr heraus als ein heiseres »Bitte hilf mir …«.
»Lass sie in Frieden!«, befehle ich Arslan, und er senkt langsam sein Schwert. Seine Schultern sind angespannt – er ist bereit, sie zu töten, sobald sie die Hand gegen mich erhebt.
Sie zittert am ganzen Körper und kann sich kaum noch auf den Beinen halten. Erschöpft taumelt sie gegen eine der Marmorsäulen. Hat sie meinen tscherkessischen Befehl verstanden?
»Arslan wird dir nichts tun«, beruhige ich sie auf Arabisch. »Wer bist du? Und woher …«
In diesem Augenblick hebt sich die geborstene Marmorplatte, weil sich jemand von unten dagegenstemmt. »Du entkommst mir nicht!«, ertönt eine heisere Stimme auf Italienisch.
Mit einem gehetzten Schrei springt die junge Frau zur Seite und flüchtet an meine Seite.
Arslan reißt sein Schwert hoch, als schließlich die schwere Bodenplatte angehoben wird und ein Christusritter aus der Finsternis auftaucht. Geblendet vom Licht der Öllampen, hält er unvermittelt inne.
Ungläubig starre ich ihn an.
Es ist so viele Jahre her … in der Mezquita von Córdoba … doch dieses von einer Narbe zerspaltene Gesicht vergesse ich nicht! Eine grässliche Brandwunde, die vermutlich von einem wuchtigen Schlag mit einer brennenden Fackel herrührt, hat sein rechtes Auge verletzt.
Dom Tristão de Castro.
Erschrocken weicht er zurück, als er Arslan und mich bemerkt. Hastig zieht er sich die Kapuze seines Skapuliers über den Kopf, um das Gesicht zu verhüllen, und verschwindet wieder in der Öffnung.
Hat auch er mich erkannt?
»Folge ihm!«, befehle ich Arslan. »Ich will wissen, wohin er flieht. Aber sei vorsichtig. Vor acht Jahren hat er den portugiesischen Kreuzzug gegen Tanger angeführt. Er ist ein Christ, der sein Schwert mit muslimischem Blut weiht.«
Arslan, der vor seiner Bekehrung zum Islam ein Christ gewesen ist, schnaubt verächtlich. Er deutet auf die junge Frau an meiner Seite. »Was ist mit ihr?«
»Sie ist verletzt. Ich kümmere mich um sie.«
»Und wenn sie dich …«
Ich werfe ihr einen Blick zu, den sie mit weit aufgerissenen Augen erwidert. »Das wird sie nicht tun.«
»Wie du willst, Yared.« Mein Befehl missfällt Arslan, denn der Sultan hat ihn angewiesen, mein Leben mit seinem zu schützen. Wenn ich sterbe, wird er hingerichtet, gleichgültig, was ich ihm zu tun befohlen habe. Fluchend wendet er sich ab und verschwindet im finsteren Gang, um Dom Tristão zu
Weitere Kostenlose Bücher