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Der Gottesschrein

Der Gottesschrein

Titel: Der Gottesschrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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Markus führt.
    »Halt! Bleib stehen!«, ruft jemand hinter mir her.
    Mit klopfendem Herzen gehorche ich. Elija guckt ängstlich zu mir hoch und hält den Mund.
    Ein Tscherkesse kommt zu mir herüber – die Hand am Schwertgriff. Als er vor mir stehen bleibt und den Kopf ein wenig neigt, um mir im Schein seiner Fackel ins Gesicht zu sehen, blicke ich zu Boden und ziehe den Schleier vor Mund und Nase. Beschämt senke ich die Lider und verberge mich hinter dem gelben Tuch, und er respektiert schließlich die Verschleierung, die mir nach dem Gesetz der Dhimma als Jüdin gar nicht zusteht.
    Hat er bemerkt, dass ich keine Steinkugel trage?
    »Kann ich gehen?«, frage ich leise, bevor er Lust bekommt, mich in eine dunkle Nische zu zerren. Die Kriegersklaven sind gefürchtet, weil sie jüdische und christliche Frauen vergewaltigen. Heute Morgen hat Benyamin mir erzählt, dass vor wenigen Wochen seiner dreizehnjährigen Tochter derart zügellos Gewalt angetan worden ist, dass sie an ihren Verletzungen beinahe gestorben wäre. Yared hat ihr das Leben gerettet.
    Als der Mamelucke nicht antwortet, zupft Elija an meinem Ärmel. »Mami?«, flüstert er.
    Der Tscherkesse mustert den kleinen Jungen, der sich erschrocken hinter mir versteckt und ihn mit ängstlichen Kinderaugen anguckt. Schließlich entlässt er mich mit einer lässigen Handbewegung. »Verschwinde!«
    Ich atme auf.
    »Danke, Herr!« Mit scheu gesenktem Blick nehme ich Elijas Hand und gehe mit ihm an den Mamelucken vorbei in Richtung des jüdischen Viertels.
    »Beobachten sie uns?«, frage ich Elija, der sich immer wieder zu den Bewaffneten umdreht.
    »N-nein«, flüstert er. »Sie tu-huscheln und lachen und beachten uns n-nicht.«
    »Na, dann komm!«
    Wir huschen zwei, drei, vier Schritte die Davidstraße hinunter und verschwinden nach rechts in eine Gasse des armenischen Viertels. Im Schatten der Markuskirche vertausche ich den gelben Schleier gegen den blauen und werde wieder Christin.
    Wenig später haben Elija und ich das armenische Patriarchat erreicht, das in Sichtweite der Zitadelle nahe der südwestlichen Ecke der Stadtmauer liegt.
    »Du wartest hier auf mich.« Ich gebe Elija den ›Firman‹, den ich mir heute Morgen selbst ausgestellt habe. »Wenn ich in einer halben Stunde nicht zurück bin – wenn die Glocke der Grabeskirche neun Uhr schlägt! –, dann gehst du zum Portal der Zitadelle und verlangst, zum Emir geführt zu werden. Gib Yared al-Gharnati diesen Zettel mit meinem Namen, und sag ihm, dass er mich in dem verlassenen Kloster auf dem Berg Zion suchen lassen soll, wo sich die Tempelritter verstecken.«
    »Aber ich will mitkommen!«
    »Vergiss es! Viel zu gefährlich. Tu, was ich dir sage. Damit kannst du mir das Leben retten.«
    »Ist gut!«, schmollt er und setzt sich niedergeschlagen auf die Treppe des Patriarchats.
    Ich verwuschele sein Haar. »Bin gleich wieder da!«
    Dann wende ich mich um und verschwinde in den Schatten der armenischen Gassen.
    In den Fassaden der Häuser gähnen finstere höhlenartige Gewölbekammern, ähnlich den Werkstätten der Florentiner Maler rund um Santa Maria Novella, bis vor einigen Monaten die Residenz von Papst Eugenius. Wie in Florenz wird das Innere der Gewölbe mit Vordächern aus buntem Segeltuch vor Sonne, Wind und Regen geschützt. Tagsüber sind die unverputzten Wände mit Waren behängt, und oft stehen die Tische mit armenischen Silber- und Lederarbeiten bis auf die Straße hinaus. Dann wimmelt das armenische Viertel von fliegenden Händlern, die sich einen Korb mit Süßigkeiten wie Baklava, Pistazien und gebrannten Mandeln umgehängt haben, und kleinen Jungen, die durch die Gassen flitzen, um Körbe voll frisch gebackenem Brot auszuliefern.
    Doch jetzt ist alles ruhig …
    … bis auf die Schritte hinter mir.

    Mit angehaltenem Atem lausche ich.
    Stille.
    Über mir wiegen sich die Blätter von Dattelpalmen im warmen Nachtwind und flappern leise. Ihre Umrisse heben sich schwarz vom Nachthimmel ab.
    Ich blinzele in die Gasse. Ist auch er stehen geblieben? In der Finsternis kann ich ihn nicht sehen.
    Verdammt, wer ist dieser schwarz verhüllte Mönch, der mir seit heute Nachmittag unauffällig folgt? Ein Christusritter? Oder ein Häscher des Patriarchen, der mich überwachen lässt?
    Während der heiligen Liturgie war Joachim so blass geworden, als er mich in der Menge der Gläubigen entdeckte. Hat er eine Totgeglaubte gesehen?
    Solange mich der schwarze Mönch verfolgt, kann ich nicht in das Kloster

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