Der Gottesschrein
der Christusritter auf dem Berg Zion eindringen, um mir den aramäischen Papyrus zurückzuholen – die antike Handschrift, die der Patriarch an sich reißen will, bevor der Papst sie zurückbekommt …
Ich muss dem schwarzen Mönch entkommen – aber wie? Mir bleibt nur eine halbe Stunde, bis die Christusritter aus der Grabeskirche in ihr Versteck zurückkehren und Elija in der Zitadelle beim Emir vorspricht, um mein Leben zu retten. Zu wenig Zeit für eine Verfolgungsjagd quer durch Jerusalem.
Ich lausche auf den Wind, der in den Palmblättern rauscht, und auf das Zirpen der Zikaden.
Ein Fauchen, ein schriller Schrei! Im Judenviertel balgen sich kreischend zwei Katzen.
Dann kann ich ihn hören. Ein Tappen. Ein Knirschen, wie von einem Stein auf dem Kopfsteinpflaster der Straße. Er kommt langsam näher!
Ich ziehe die Sandalen aus und husche in die Gasse, die zum verfallenen Zionstor führt – da ist es schon! Der Berg Zion liegt keine zweihundert Schritte entfernt. So nah, und doch unerreichbar fern.
Vor dem Stadttor wende ich mich nach links, haste an der verfallenen Stadtmauer entlang und verschwinde in einer Gasse des armenischen Viertels, die zu der Kirche führt, die dem vergessenen Papst geweiht ist.
Im Licht der Sterne ragt die armenische Kathedrale vor mir auf. Ich haste zum Portal mit dem Gong, der die Gläubigen zum Gebet ruft, und husche in die Basilika, einen dreischiffigen Kuppelbau mit unzähligen Öllampen, die vom hohen Gewölbe herabhängen, und einer herrlichen Ikonostasis vor der Chorapsis. Vor der rußgeschwärzten Ikonenwand steht unter einem goldenen Baldachin der Thronsessel des ersten Papstes, den schon Eusebius von Caesarea in seiner Kirchengeschichte erwähnt. Jesu Bruder, der vergessene Papst, dessen überragende Bedeutung für die Christenheit die Evangelisten zugunsten von Petrus und Paulus verschwiegen haben, liegt unter dem Altar begraben.
Im Schatten des Seitenschiffs hetze ich an der Kapelle des Apostels Jakobus vorbei, der auf dem Platz vor der Basilika hingerichtet worden sein soll, zur Kapelle des heiligen Menas. Dort werden wertvolle armenische Handschriften aufbewahrt, die ich eigentlich während der nächsten Tage besichtigen wollte – doch dafür benötige ich die Genehmigung des armenischen Patriarchen, der sich zurzeit nicht in Jerusalem aufhält.
Dann habe ich die Kapelle des heiligen Stephanos erreicht, des ersten Märtyrers der Christenheit. Hier befindet sich die Sakristei – und ein unverschlossenes Seitenportal.
Leise lasse ich die Tür hinter mir ins Schloss fallen und haste eine schmale Gasse entlang zurück zum Hauptportal der Basilika. Dort steht der schwarze Mönch und sieht sich ratlos um. Als er die Kathedrale betritt, laufe ich zurück zum Zionstor.
Weit und breit kein Mamelucke – heute Nacht liegt kein Kreuzzugsheer vor den Toren von Jerusalem, denke ich. Wenn sie wüssten, dass die Christusritter sich direkt vor dem Zionstor verstecken und die Stadt jederzeit betreten und verlassen können!
Vorbei an den Ruinen des Hauses, in dem der Hohepriester Joseph ben Kajafa gewohnt hat, der Jesus an Pontius Pilatus auslieferte, stolpere ich in Richtung des Franziskanerkonvents auf dem Berg Zion und des benachbarten Saals des letzten Abendmahls.
Ein Stück weiter liegt das Kloster, wo Prinz Solomon residiert – nach den Osterfeiertagen will ich ihn nach der heiligen Lade, dem geheimnisvollen Tabot, fragen.
Hinter dem Berg Zion liegt das Hinnom-Tal. Bevor die Kirche die Hölle erfand, die Dante Alighieri in seiner Göttlichen Komödie mit Päpsten bevölkerte, galt das Hinnom-Tal als Ort der Verdammnis. Hinter einer dichten Hecke aus Dornengestrüpp duckt sich wie Parzivals verwunschene Gralsburg eine verfallene Abtei. Karim hat heute Nachmittag den verborgenen Durchgang durch die Dornen entdeckt.
Still und scheinbar verlassen liegen die von wilden Rosen überwucherten Ruinen vor mir. Ich taste nach meinem Dolch.
Der Nachtwind, ein heißer, trockener Khamsin aus der östlichen Wüste, raschelt im vertrockneten Dornengestrüpp – morgen wird es drückend heiß werden.
Die Zikaden zirpen, halten kurz inne und beginnen ihr Lied von Neuem, diesmal in einer anderen Tonart.
Sonst ist es ruhig.
Wie viele Christusritter sind in Jerusalem – Dom Tristão und sein Schwertbruder, der ihn in die Grabeskirche begleitet hat, oder noch mehr? Ist noch jemand in der Klosterruine? Wenn ja, sitzt er im Dunkeln. Denn im Konvent brennt kein Licht. Die Gefahr,
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