Der Gottesschrein
Don Rodrigos Truhe und krieche hinüber zur nächsten Schlafdecke.
Hastig durchwühle ich das Gepäck, finde jedoch außer einem wertvollen Schachspiel, das der Orden den Mönchen gewiss nicht gestattet, nur einige Briefe. Sie sind an Dom Lançarote de Santarém gerichtet. Sein Vater hat sie an den ›Ordem de Cavalaria de Nosso Senhor Jesu Cristo‹ nach Tomar geschrieben. Ich überfliege die drei Schreiben, denen jedoch nicht zu entnehmen ist, seit wann sich Dom Lançarote in Jerusalem aufhält. Und aus welchem Grund. Dom Fernão de Santarém jedenfalls glaubt, sein Sohn befände sich an Bord einer Karavelle auf einer Expedition entlang der afrikanischen Westküste, um jenseits des gefürchteten Cap Bojador die ›Terra do Preste João‹ zu suchen.
In Dom Tristãos Reisetruhe finde ich schließlich mein Notizbuch. Hastig blättere ich durch die Seiten. Da sind die Skizzen des Tempelbergs mit dem verwaschenen Templerkreuz, das Dom Tristão letzte Nacht so verwirrt hat. Ich brauche es, wenn ich mit Tayeb noch einmal ins Labyrinth hinabsteigen will, um die Tonkrüge der Tempelbibliothek zu finden und die Bundeslade zu suchen.
Ich stecke das Büchlein ein und wühle mich durch Dom Tristãos Habseligkeiten. Die aramäische Schriftrolle kann ich jedoch nicht finden. Leise fluchend blicke ich mich im Refektorium um. Hat er sie unter den Bodenfliesen verborgen? Oder hinter einem losen Stein im …?
Erschrocken zucke ich zusammen, als ich ein leises Knirschen vernehme. Dann ein Rascheln – wie von vertrocknetem Unkraut.
Irgendjemand nähert sich der Klosterruine!
Die Christusritter!
Die Glocke des Franziskanerkonvents hat noch nicht neun geschlagen! Oder doch? Ist Elija schon auf dem Weg zur Zitadelle, damit Yared seine Mamelucken auf der Suche nach mir zum Berg Zion schickt?
Panisch lösche ich meine Kerze und verschütte dabei einige Tropfen heißes Wachs auf den Boden. Aber mir bleibt keine Zeit, sie mit dem Saum meines Gewandes wegzuwischen.
Lichtfunkelnde Schemen tanzen in meinem Gesichtsfeld, als sich meine Augen langsam wieder an die Finsternis gewöhnen.
Ich muss so schnell wie möglich verschwinden!
Das unterdrückte Getuschel eines erregten Disputs wird lauter, doch die portugiesischen Worte fließen ineinander und bleiben mir unverständlich.
Eine der Disteln, die im Torgang wachsen, knistert leise.
Sie sind schon ganz nah!
In der Finsternis schleiche ich durch den Kreuzgang in die Kapelle, taste mich an der Wand entlang zu einem …
Großer Gott! Was ist das? Ich fühle ein schweres Tuch, das über irgendetwas gebreitet ist, und ein aufgenähtes Kreuz der Unschuld. Dann berühren meine zitternden Finger die Hände eines Toten, die auf seiner Brust um einen Schwertgriff gefaltet sind.
Sie haben Don Rodrigo aus dem Labyrinth geholt und in der Kapelle aufgebahrt! Sie werden ihn heute Nacht begraben, und ich verstecke mich ausgerechnet in dieser … dieser finsteren Grabkammer!
Das sich nähernde Geflüster zerrt an meinen Nerven.
Mein Herz klopft bis zum Hals.
Angestrengt starre ich durch das Portal der Kapelle in den Kreuzgang, doch in der Dunkelheit ist nichts zu erkennen. Dann höre ich Dom Tristãos tiefe Stimme. »… für Rodrigo.«
Zwei Schatten kommen aus der Finsternis hervor.
Während Dom Lançarote ins Refektorium geht, bleibt Dom Tristão vor dem Eingang der Kapelle stehen. Vor dem Hintergrund des Sternenlichts kann ich seine Silhouette erkennen. Schwungvoll nimmt er den schwarzen Umhang ab und blickt herein.
Ein eisiger Schauer läuft über meinen Rücken. Hat er mich bemerkt? Gegen sein Schwert hätte ich keine Chance!
Ich kauere hinter dem Katafalk, halte den Atem an und umklammere den Griff meines Dolchs.
Was tut er jetzt?
Leise Schritte! Großer Gott, er kommt in die Kapelle! Ich muss mich verstecken! Mit zitternden Fingern taste ich nach dem weiten Mantel, der Rodrigos Leichnam bedeckt. Nur kein Geräusch machen! Langsam hebe ich das schwere Tuch an und krieche lautlos unter den Katafalk. Aus Versehen stoße ich mit dem Knie gegen ein Bein des Gestells. Ich erstarre und halte den Atem an.
Mein Herzschlag ist so laut, dass ich kaum hören kann, was Tristão tut. Was ist das für ein Geräusch? O Gott, ich ahne es!
Durch die Erschütterung des Katafalks entgleitet das Schwert, das mit dem Leichnam aufgebahrt worden ist, Rodrigos gefalteten Händen. Mit einem Höllenlärm poltert die Klinge auf den Steinboden und bleibt eine Handbreit neben mir liegen.
Mein Herz bleibt
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