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Der Gotteswahn

Der Gotteswahn

Titel: Der Gotteswahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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Lewis Wolpert äußert in seinem Buch Six Impossible Things Before Breakfast: The Evolutionary Origins of Belief (»Sechs unmögliche Dinge schon vor dem Frühstück: Die evolutionären Ursprünge von Überzeugungen«) einen Gedanken, in dem man eine Verallgemeinerung der Vorstellung von konstruktiver Irrationalität sehen kann. Seine zentrale Aussage lautet: Eine irrationale, starke Überzeugung schützt vor geistigem Wankelmut. »Wäre an lebensrettenden Überzeugungen nicht energisch festgehalten worden, so hätte dies in der Frühzeit der menschlichen Evolution einen Nachteil bedeutet. Es wäre zum Beispiel höchst unvorteilhaft gewesen, wenn die Menschen es sich beim Jagen oder bei der Werkzeugherstellung ständig wieder anders überlegt hätten.«
    Wolperts Argumentation läuft darauf hinaus, dass es zumindest unter manchen Umständen besser ist, an einer irrationalen Überzeugung festzuhalten, als immer wieder ins Schwanken zu geraten, selbst wenn neue Anhaltspunkte oder logische Gedanken für einen Wechsel sprechen. Wie man leicht erkennt, ist das »Sich-Verlieben« dann nur ein Sonderfall, und ebenso leicht erkennt man in Wolperts »irrationalem Festhalten« eine weitere nützliche psychologische Neigung, mit der man wichtige Aspekte des irrationalen religiösen Verhaltens erklären kann: Auch hier ist es ein Nebenprodukt.
    Robert Trivers erläutert in seinem Buch Social Evolution sehr ausführlich seine 1976 veröffentlichte Theorie über die Evolution der Selbsttäuschung. Durch Selbsttäuschung, so Trivers,

    verbergen wir die Wahrheit vor unserem Bewusstsein, um sie besser vor anderen verbergen zu können. Bei unserer eigenen Spezies erkennen wir, dass unsteter Blick, feuchte Handflächen und eine raue Stimme Anzeichen für den Stress sein können, der sich mit dem Bewusstsein eines Täuschungsversuchs verbindet. Ist der Lügner sich seines Täuschungsversuchs dagegen nicht bewusst, so verbirgt er solche Anzeichen auch vor dem Beobachter. Dann kann er lügen, ohne dass sich die mit einer Täuschung verbundene Nervosität einstellt.

    Etwas Ähnliches schreibt auch der Anthropologe Lionel Tiger in seinem Buch Optimism: The Biology of Hope. Die Verbindung zur eben beschriebenen konstruktiven Irrationalität ist in Trivers’ Abschnitt über die »Abwehr bei der Wahrnehmung« zu erkennen:

    Menschen neigen dazu, bewusst das zu sehen, was sie sehen wollen. Sie haben richtiggehende Schwierigkeiten, Dinge mit negativen Konnotationen zu sehen, und gleichzeitig fällt es ihnen immer leichter, positive Dinge wahrzunehmen. Beispielsweise müssen Wörter, die sich aufgrund der persönlichen Vorgeschichte eines Menschen oder durch experimentelle Manipulationen mit Angst verbinden, deutlicher dargestellt werden, bevor sie überhaupt wahrgenommen werden.

    Welche Bedeutung so etwas für das Wunschdenken der Religion hat, brauche ich wohl nicht genauer zu erläutern.
    Die allgemeine Theorie, wonach Religion ein Nebenprodukt ist – eine Fehlfunktion eines eigentlich nützlichen Mechanismus –, möchte auch ich vertreten. In den Einzelheiten ist sie vielgestaltig, kompliziert und diskussionsbedürftig. Zur Verdeutlichung werde ich mich weiterhin meiner Theorie der »leichtgläubigen Kinder« bedienen, die stellvertretend für die »Nebenprodukttheorien« im Allgemeinen stehen soll. Diese Theorie, dass das Kindergehirn aus guten Gründen anfällig für eine Infektion mit »geistigen Viren« ist, mag manchen Lesern unvollständig erscheinen. Der Geist mag anfällig sein, aber warum wird er gerade von diesem Virus infiziert und nicht von einem anderen? Gelingt es manchen Viren besonders gut, einen anfälligen Geist zu infizieren? Warum findet die »Infektion« ihren Ausdruck in der Religion und nicht in … ja, worin? Unter anderem will ich damit sagen, dass es keine Rolle spielt, welche besondere Form von Unsinn das Kindergehirn befällt. Einmal angesteckt, wächst das Kind auf und infiziert die nächste Generation mit dem gleichen Unsinn, wie er auch aussehen mag.
    Anthropologische Übersichtsdarstellungen wie Der goldene Zweig von James Frazer machen deutlich, dass es unter den Menschen eine beeindruckende Vielfalt irrationaler Überzeugungen gibt. Einmal in einer Kultur verwurzelt, können sie sich halten, weiterentwickeln und immer vielgestaltiger werden – ein Vorgang, der stark an die biologische Evolution erinnert. Frazer erkennt jedoch gewisse allgemeine Prinzipien, beispielsweise die »homöopathische Magie«,

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