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Der Gotteswahn

Der Gotteswahn

Titel: Der Gotteswahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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Sicht ist es zweifellos aus allen möglichen Gründen wichtig, einen guten Partner auszuwählen. Hat man aber einmal die Wahl getroffen – selbst wenn es eine schlechte Wahl war – und ein Kind gezeugt, ist es wichtiger, zumindest so lange auf Biegen und Brechen an dieser Wahl festzuhalten, bis das Kind aus dem Gröbsten heraus ist.
    Könnte die irrationale Religion ein Nebenprodukt der irrationalen Mechanismen sein, die ursprünglich von der natürlichen Selektion ins Gehirn eingepflanzt wurden, damit wir uns verlieben? Religiöser Glaube hat sicher einige Gemeinsamkeiten mit dem Zustand der Verliebtheit (und beide ähneln in vielerlei Hinsicht dem von einem Suchtmittel erzeugten Rauschzustand). [32] Der Neuropsychiater John Smythies weist allerdings daraufhin, dass durch diese beiden Formen der Manie zum Teil unterschiedliche Gehirnareale aktiviert werden. Dennoch fallen auch ihm gewisse Gemeinsamkeiten auf:
    Zu den vielen Gesichtern der Religion gehört als eine wichtige Facette die innige Liebe, die sich auf eine übernatürliche Person, also auf Gott richtet, und die Verehrung von Symbolen für diese Person. Das Leben der Menschen wird vorwiegend von unseren egoistischen Genen und den verschiedenen Verstärkungsvorgängen vorangetrieben. Aus der Religion erwächst eine Menge positive Verstärkung: warme, tröstliche Gefühle der Liebe und Geborgenheit in einer gefährlichen Welt, Verlust der Angst vor dem Tod, Hilfe von oben als Antwort auf Gebete in schwerer Zeit, und so weiter. Die romantische Liebe zu einer realen Person (die in der Regel dem anderen Geschlecht angehört) lässt die gleiche starke Konzentration auf den anderen und die damit verbundenen positiven Verstärkungen erkennen. Solche Gefühle können durch Symbole des anderen ausgelöst werden, beispielsweise durch Briefe, Fotos oder sogar, wie in viktorianischer Zeit, durch Haarlocken. Der Zustand des Verliebtseins hat viele physiologische Begleiterscheinungen wie zum Beispiel das heiße Schmachten. 93

    Ich selbst habe den Vergleich zwischen Verliebtsein und Religion schon 1993 angestellt: Damals machte ich darauf aufmerksam, dass die Symptome eines von Religion infizierten Menschen »unter Umständen verblüffend an die Symptome erinnern, die man in der Regel mit sexueller Liebe in Verbindung bringt. Diese ist im Gehirn eine höchst wirksame Kraft, und deshalb ist es kein Wunder, dass in der Evolution mehrere Viren entstanden sind, die sie ausnutzen.« (»Viren« ist hier eine Metapher für die Religionen: Mein Artikel trug die Überschrift »Viren des Geistes«.) Die berühmte, von einem Orgasmus begleitete Vision der heiligen Theresa von Avila ist so berühmt-
berüchtigt, dass ich sie hier nicht noch einmal beschreiben muss. Ernsthafter und nicht auf einer so grob-sinnlichen Ebene berichtet der Philosoph Anthony Kenny mit bewegenden Worten, welch reines Entzücken jene erwartet, denen es gelingt, an das Geheimnis der Transsubstantiation zu glauben. Zunächst beschreibt er, wie er zum katholischen Priester geweiht und durch Handauflegen zum Zelebrieren der Messe ermächtigt wurde; anschließend erinnert er sich eher lebhaft

    an den Überschwang der ersten Monate, in denen ich die Macht hatte, die Messe zu lesen. War ich beim morgendlichen Aufstehen normalerweise langsam und träge gewesen, so sprang ich jetzt frühzeitig, hellwach und voller Aufregung aus dem Bett, ganz im Gedanken daran, welch folgenschwere Handlung zu vollziehen ich berechtigt war. […]
    Am meisten bezauberte es mich, den Leib Christi zu berühren und Jesus als Priester ganz nahe zu sein. Nach den Worten der Wandlung starrte ich die Hostie an, mit weichem Blick wie ein Liebhaber, der in die Augen der Geliebten blickt. […] Jene ersten Tage als Priester sind mir als Tage der Erfüllung und des bebenden Glücks in Erinnerung geblieben – etwas Kostbares und doch viel zu Zerbrechliches, als dass es von Dauer hätte sein können, so wie eine romantische Liebesaffäre, die von der Realität einer schlechten Ehe eingeholt wird.
    Die Entsprechung zum Verhalten der Motte, die sich an Lichtern orientiert, ist unsere irrationale, aber nützliche Gewohnheit, uns in einen und nur einen Angehörigen des anderen Geschlechts zu verlieben. Das durch Fehlfunktion entstandene Nebenprodukt – vergleichbar dem Flug in die Kerzenflamme – ist die Liebe zu Jahwe (oder zur Jungfrau Maria oder zu einer Oblate oder zu Allah) mit allen dadurch motivierten irrationalen Handlungen.
    Der Biologe

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