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Der Gotteswahn

Der Gotteswahn

Titel: Der Gotteswahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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psychologisches Nebenprodukt ist. Die späteren Phasen, in denen die Religion organisiert, weiterentwickelt und von anderen Religionen abgegrenzt wird, lassen sich mit der Theorie der Memplexe gut beschreiben – eine Religion besteht dann aus Gruppen untereinander verträglicher Meme. Das schließt eine zusätzliche absichtliche Manipulation durch Priester und andere nicht aus. Religionen sind vermutlich zumindest teilweise intelligent gestaltet, ganz ähnlich wie die verschiedenen Schulen und Moden in der Kunst.
    Eine Religion, die fast in ihrer Gesamtheit intelligent gestaltet wurde, ist Scientology, aber nach meiner Vermutung handelt es sich dabei um eine Ausnahme. Ein weiterer Kandidat für eine vollständig gestaltete Religion ist das Mormonentum. Joseph Smith, dessen geschäftstüchtiger, verlogener Erfinder, schrieb mit großem Aufwand ein ganz neues heiliges Buch, das Buch Mormon. Er erfand aus dem Nichts eine neue amerikanische Pseudogeschichte, die in pseudoaltem Englisch verfasst war. Aber das Mormonentum hat sich seit seiner Konstruktion im 19. Jahrhundert weiterentwickelt und ist heute in den Vereinigten Staaten eine der angesehenen Hauptreligionen – nach den Angaben seiner Vertreter sogar die am schnellsten wachsende; mittlerweile heißt es sogar, man wolle einen eigenen Präsidentschaftskandidaten aufstellen.
    Die meisten Religionen entwickeln sich weiter. Ganz gleich, welche Theorie der religiösen Evolution wir uns zu Eigen machen, sie muss in jedem Fall erklären, warum die Evolution der Religion unter geeigneten Voraussetzungen so erstaunlich schnell voranschreiten kann. Dazu eine Fallstudie:

Cargo-Kulte

    Zu den vielen Dingen, die Monty Python in Das Leben des Brian gut begriffen hatten, gehörte auch die Tatsache, dass ein neuer religiöser Kult ungeheuer schnell Zulauf gewinnen kann. Er entsteht unter Umständen fast über Nacht und wird in eine Kultur integriert, wo er dann eine beunruhigend dominante Rolle spielt. Das berühmteste reale Beispiel sind die »Cargo-Kulte« im Pazifikraum (Melanesien und Neuguinea). Ihre gesamte Geschichte von der Entstehung bis zum Erlöschen ist noch in lebendiger Erinnerung. Anders als der Jesuskult, dessen Ursprünge nicht zuverlässig belegt sind, können wir hier den gesamten Ablauf der Ereignisse genau verfolgen (und doch sind auch hier, wie wir noch sehen werden, manche Einzelheiten verloren gegangen). Es ist eine faszinierende Vermutung, dass der christliche Kult praktisch genauso begann und sich anfangs mit der gleichen hohen Geschwindigkeit ausbreitete.
    Die wichtigste Quelle für meine Kenntnisse über die Cargo-Kulte ist das Buch Quest in Paradise (»Suche im Paradies«), das sein Autor David Attenborough mir freundlicherweise zum Geschenk machte. Die Gesetzmäßigkeiten sind bei all diesen Kulten immer wieder die gleichen, von den ältesten im 19. Jahrhundert bis zu den heute bekannteren, die sich im Gefolge des Zweiten Weltkrieges entwickelten. Anscheinend waren die Inselbewohner in allen Fällen völlig hingerissen von den wundersamen Besitztümern der weißen Einwanderer, also der Beamten, Soldaten und Missionare. Vielleicht wurden sie zu Opfern des dritten Gesetzes von Arthur C. Clarke, das ich bereits in Kapitel 2 zitiert habe: »Jede ausreichend hoch entwickelte Technologie ist von Zauberei nicht zu unterscheiden.« Den Inselbewohnern fiel auf, dass die Weißen, die sich solcher Wunderdinge erfreuten, diese nie selbst herstellten. Musste ein Gegenstand repariert werden, schickte man ihn irgendwohin, und neue Gegenstände kamen als Fracht (»Cargo«) mit Schiffen oder später mit Flugzeugen. Es war, so Attenborough, nie zu beobachten, dass die Weißen irgendetwas herstellten oder reparierten – ja, eigentlich taten sie überhaupt nichts, was als nützliche Arbeit zu erkennen gewesen wäre. (Hinter einem Schreibtisch zu sitzen war offenbar eine Form der religiösen Verehrung.) Demnach musste die »Fracht« also übernatürlichen Ursprungs sein. Und als wollten die Weißen diese Vorstellung bestätigen, vollzogen sie Handlungen, bei denen es sich nur um rituelle Zeremonien handeln konnte:
    Sie bauen hohe Masten auf und befestigen Drähte daran; sie sitzen lauschend vor kleinen Kisten, in denen Lichter glimmen und die seltsame Geräusche oder krächzende Stimmen von sich geben; sie veranlassen die Bewohner der Gegend, sich gleich zu kleiden, und lassen sie dann auf und ab marschieren – eine nutzlosere Tätigkeit kann man sich kaum ausmalen.

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